Interview des Arbeitskreises Israel mit dem Theologen Guido Baltes
Die Herausforderung besteht darin, nicht nur vordergründige Israelbegeisterung zu vermitteln, sondern verständlich zu machen, an welchen Stellen unser Glaube mit Israel verbunden ist. Guido Baltes
Wir vom Arbeitskreis Israel führen seit einigen Jahren Interviews mit Menschen, die etwas für Israel tun oder mit Menschen, die aus Israel stammen und sich für ihr Land einsetzen. Mit Guido Baltes, Theologe und Kenner Israels und des jüdischen Glaubens haben wir ein Gespräch über das Miteinander der Religionen geführt.
Sehr geehrter Herr Baltes, Sie sind Theologe, Dozent am MBS Bibelseminar und Lehrbeauftragter an der Universität Marburg und der Evangelischen Hochschule Tabor.
Würden Sie uns ein wenig über sich erzählen?
Was ich beruflich mache, haben Sie ja in der Frage schon gut zusammengefasst. Ich habe, wie auch meine Frau Steffi, in Marburg evangelische Theologie studiert, und wir sind beide Pfarrer der evangelischen Kirche geworden. Ich habe dann allerdings zunächst einige Jahre als Rundfunkjournalist beim ERF gearbeitet, dann im Christus-Treff Marburg und schließlich in Jerusalem. Seit etwa 10 Jahren bin ich jetzt hauptsächlich in der theologischen Forschung und Lehre tätig. Sowohl von meiner persönlichen Familiengeschichte her als auch von vielen Jahren aktiver Mitarbeit im Christus-Treff Marburg, einer ökumenischen Gemeinschaft von Christen, ist mir das lebende Miteinander unterschiedlicher Konfessionen, von evangelisch bis katholisch, von pfingstlich bis pietistisch und von landeskirchlich bis freikirchlich, seit jeher ein wichtiges Anliegen und Teil meines alltäglichen Lebens.
Sie haben mehrere Jahre in Jerusalem gelebt. Wie kamen Sie zu dem „Thema Israel“ und was war Ihre Aufgabe in Jerusalem?
Von meiner Biografie und auch meinem Gemeindehintergrund hatte ich mit Israel eigentlich nicht viel zu tun. Im Theologiestudium spielte es eigentlich kaum eine Rolle, das Judentum galt für die meisten von uns entweder als eine „überholte“ Religion der Vergangenheit oder aber als ein Gesprächspartner im christlich-jüdischen Dialog in Deutschland. Die meisten meiner Freunde hatten ihre Auslandskontakte und -erfahrungen eher in Afrika oder in der arabischen Welt. Bei meiner Frau, die ich während des Studiums kennenlernte, war das anders: Sie berichtete mir von einer Israel-Studienreise, bereitete sich auf ein Auslands-Studienjahr in Jerusalem vor und lernte Neuhebräisch. Ich ordnete das damals unter „interessantes Hobby“ ein. Dass es unter Christen auch „Israel-Fans“ gibt, wusste ich ja. Ich wollte nur eben selbst keiner werden.
Ich kam aber dann doch schneller nach Israel, als ich dachte. Unsere Gemeinde, der Christus-Treff in Marburg, wurde angefragt, ob wir die Verantwortung für das „Johanniter-Hospiz“ in Jerusalem übernehmen wollten. Das ist eines der traditionellen Pilgerhäuser in Jerusalem und wurde bis dahin von einer anderen evangelischen Kommunität betreut. Nun schickten wir also ein Team dorthin, um die Lage zu erkunden und dort eine Begegnungsarbeit aufzubauen. Wir meldeten uns, als Freiwillige dort für ein Jahr mitzuarbeiten. Und dieses eine Jahr hat viel verändert, weil mir viele neue Horizonte aufgegangen sind.
Als Theologe in Israel, zusammen mit ganz vielen verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen, evangelisch, katholisch, unterschiedliche orthodoxe Kirchen, Freikirchen, ein breites Spektrum. Wie funktioniert der Dialog unter den verschiedenen Glaubensrichtungen?
Manchmal besser, manchmal schlechter. Zunächst einmal ist Jerusalem ein Ort, wo eine solche Begegnung in einzigartiger Weise möglich ist. Zum einen sind dort eben alle Konfessionen der Welt vertreten und zwar auf engstem Raum. Und zum zweiten sind sie, selbst wenn man alle zusammenzählt, immer noch eine kleine Minderheit in einem Land, das zum größten Teil aus jüdischen und muslimischen Einwohnern besteht. Das schweißt zusammen und fordert die Frage heraus: Was ist das, was uns Christen gemeinsam ist und gleichzeitig so anders macht als unsere Nachbarn? Glaubenskriege über Kleinigkeiten machen da keinen Sinn. Man kommt schneller zum Wesentlichen und Substantiellen. Gleichzeitig sind die Christen so unterschiedlich, dass man enorm viel von einander lernen kann: So glauben und beten äthiopisch-orthodoxe Christen ganz anders als - zum Beispiel - messianische Juden. Aber beide haben Tiefes und Wichtiges zu sagen, was uns als „westeuropäische Mainstream-Evangelikale“ in Frage stellt, herausfordert und zugleich bereichert. Ich habe in meinem christlichen Leben noch nie so viele geistliche Impulse von Mönchen, Priestern und Ordensschwestern gehört wie in meiner Zeit in Jerusalem. Und gleichzeitig waren auch die biblischen Einsichten meiner messianischen Geschwister oft tiefer und fundierter als so manche Fastfood-Predigt, die ich in Gemeinden hier in Deutschland höre. Deshalb ist Jerusalem ein guter Ort zum ökumenischen Lernen
Natürlich gibt es auch Streit unter Christen. Solcher Streit läuft aber meistens nicht entlang konfessioneller, sondern entlang politischer Fronten. Leider lassen viele Christen sich gern auf eine der Seiten ziehen, und nehmen dabei auch manche erfundene Fakten oder verzerrte Darstellungen der Realität für bare Münze. Hier sollten wir besonnener sein und unsere Fakten gründlicher checken, bevor wir uns vor einen politischen Karren spannen lassen.
Den Mythos von den „zerstrittenen Christen in der Grabeskirche“ kann ich übrigens nicht bestätigen. Ich weiß, dass er gern erzählt wird. Er geht aber schon zurück in die Zeit der islamischen Herrschaft über Jerusalem und diente vor allem dazu, die Christen klein zu halten und einen Keil zwischen sie zu treiben. Vor allem aber lieferte er eine willkommene Erklärung für die Tatsache, warum die Schlüssel der Kirche in Händen der muslimischen Herrscher blieben: Was nämlich von Reiseführern und spöttischen Touristen gern als ein „Friedensdienst der Unparteischen“ gelobt wird, ist in Wirklichkeit noch ein Ergebnis der islamischen Eroberung Jerusalems durch Omar ibn-al Khattab im Jahr 638 n.Chr: Damals ging die christlichen Kirche in islamisches Eigentum über, die Christen mussten von nun an Steuern zahlen, um sie weiter nutzen zu dürfen. Die Schlüssel, mit denen die Grabeskirche bis heute morgens auf- und abends abgeschlossen wird, sind eine bleibende, und für die Christen demütigende Erinnerung an diesen rechtlichen „Status Quo“, der weder von den Engländern 1917, noch von den Jordaniern 1948 oder den Israelis 1967 aufgehoben wurde. Man sollte also nicht unüberlegt spöttische Bemerkungen über die vermeintlich so zerstrittenen Christen machen. Ich habe einige Jahre in der unmittelbaren Nachbarschaft der Kirche gelebt, und ich kenne keinen anderen Ort in der Welt, an dem sich so viele verschiedene Konfessionen tagtäglich dieselbe Kirche teilen, ohne dass es dabei zum Streit kommt. Dass es dann ab und zu doch knallt, ist kein Wunder. Das eigentliche Wunder ist es, dass es so selten vorkommt.
Wie funktioniert der Dialog mit dem Judentum?
Was mich persönlich in Jerusalem besonders fasziniert hat, ist die Tatsache, dass der Dialog mit dem Judentum unter umgekehrten Vorzeichen geschieht: Dort sind wir als Christen eine Minderheit, eine Ausnahme. Der jüdische Glaube ist dagegen Normalität im Alltag. Das Machtgefälle zwischen Christen und Juden, das in Europa so lange beherrschend war für den Dialog, und es heute immer noch ist, ist in Israel eben umgekehrt. Dadurch bekommen die Gespräche eine andere Richtung und einen anderen Geschmack. Hinzu kommt die Tatsache, dass man in Deutschland oft nur Begegnung mit dem Judentum einer besonderen Prägung hat – meistens in der Tradition des mitteleuropäischen Bildungsbürgertums. In Israel dagegen lernt man die Vielfalt unterschiedlicher jüdischer Traditionen und Lebensweisen in größerer Breite kennen, und so wird aus dem Dialog mit „dem Judentum“ hier ein Dialog mit sehr vielen verschiedenen „Judentümern“. Das kann den Horizont erweitern und das Gespräch bereichern. Ich persönlich habe solche Gespräche in verschiedenen regelmäßigen Foren und Gesprächskreisen der jüdisch-christlichen Begegnung miterlebt, aber auch durch einzelne Vorträge oder Veranstaltungen, die in Jerusalem in Kirchen und Synagogen immer wieder angeboten werden.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Hauptspannungsfelder zwischen Judentum und Christentum?
Das kommt darauf an, denn es gibt ja eben weder „das Christentum“ noch „das Judentum“. Spannungen entstehen natürlich durch die vielen Missverständnisse und Zerrbilder, die Christen immer noch über das Judentum haben, weil sie durch eine Jahrhunderte lange Tradition christlicher Judenfeindschaft geprägt sind. Solche Missverständnisse finden sich bis heute in christlichen Bibellexika und Bibelkommentaren und verbreiten sich von dort aus in die Predigten und Köpfe der Zuhörer: Die Idee von einem Judentum, das werkgerecht, pharisäisch oder gesetzlich ist, die Idee von einem Judentum, das nationalistisch und ausgrenzend ist, die Idee von einem Judentum, das unter der Last der Gesetze leidet. Vermutlich gibt es vergleichbare Missverständnisse über Christen auch auf der jüdischen Seite. Die kenne ich aber nicht gut genug.
Natürlich sind viele Spannungen auch durch die aktuelle politische Situation bedingt. Da wird „Judentum“ sehr schnell mit der aktuellen Tagespolitik der gerade regierenden Regierungspartei gleichgesetzt, und wem die nicht gefällt, der überträgt seine politische Ablehnung gleich auf das Judentum als Religion. Alte antisemitische Klischees werden dann in das Gewand von „berechtigter Israel-Kritik“ gekleidet, ohne dass man bemerkt, dass dabei regelmäßig die Grenzen fairer und sachlicher Kritik weit überschritten werden.
Natürlich gibt es auch Spannungen, die tiefer gehen, und die weder durch Missverständnisse noch durch aktuelle Politik zu erklären sind: So deuten wir den Teil der Bibel, den wir gemeinsam lesen, den Tanach, an vielen Stellen unterschiedlich. Und wir sind uns uneins über die Rolle, die Jesus für die Geschichte der Welt spielt. Für uns als Christen ist Jesus der von Gott in die Welt gesandte Messias, für die Mehrheit der Juden ist er das nicht. Diese Spannungen werden sich auch nicht durch Dialog und Gespräch ausräumen lassen. Hier müssen beide Seiten offen bleiben für das Reden Gottes und für die Zukunft, die Gott mit dieser Welt noch hat.
Sie sind wieder zurück aus Israel. Sie lehren evangelische Theologie. Wie bringen Sie Ihren Studenten und Studentinnen Israel nahe?
Das ist nicht immer einfach, denn die Gefahr dass man mit Anekdoten und Urlaubsgeschichten „nervt“, ist hoch. Das gilt übrigens nicht nur für Bibelschullehrer, sondern auch für ganz normale Israel-begeisterte Gemeindeglieder, die in ihren Gemeinden nicht immer auf Gegenliebe und Interesse stoßen. Die Herausforderung besteht darin, nicht nur vordergründige Israelbegeisterung zu vermitteln, sondern verständlich zu machen, an welchen Stellen unser Glaube mit Israel verbunden ist. Ich versuche zu zeigen, wie sich unser Verständnis von Bibelstellen ändert, wenn wir die jüdischen Hintergründe des Neuen Testaments besser kennen. Ich versuche zu zeigen, wie die Botschaft der Bibel vom Alten bis zum Neuen Testament mit dem Glauben Israels verwoben ist, etwa durch die Theologie der jüdischen Feste. Und natürlich biete ich hin und wieder Studienreisen nach Israel an, weil sich vieles vor Ort besser und anschaulicher lernen lässt als im Klassenzimmer oder Vorlesungssaal.
Die Kirche und das Judentum ist das Eine. Die Kirche und die messianischen Juden das Andere. Bei Kirchentagen sind messianische Juden z.B. unerwünscht. Warum fällt es der Kirche so schwer, auf die zuzugehen, die ihnen glaubensmäßig so nahe stehen? Woran scheitert dieser Dialog?
Zunächst einmal muss man vielleicht sagen, dass die evangelische Kirche in Deutschland in den letzten Jahren, nach vielen Jahren der Stagnation, zwei große Schritte auf das messianische Judentum zu getan hat: In der Erklärung der EKD-Synode vom 9. November 2016 zum umstrittenen Thema der „Judenmission“ hat die Synode ganz bewusst nicht grundsätzlich bestritten, dass das Evangelium von Jesus Christus auch gegenüber Juden bezeugt werden soll. Sie hat auch nicht ausgeschlossen, dass Juden, aus neutestamentlicher Perspektive gesehen, zum Glauben an Jesus eingeladen sind. Sie hat lediglich alle Bemühungen verurteilt, „Juden zum Religionswechsel zu bewegen“. Das wiederum ist eine zentrale Überzeugung der messianisch-jüdischen Bewegung: Dass Juden, die zum Glauben an Jesus finden, damit nicht ihre Religion wechseln und auch nicht wechseln sollten. Auch die Erklärung „Judenchristen-Jüdische Christen-Messianische Juden“ aus dem Jahr 2017 war für die EKD ein großer Schritt auf die Bewegung des messianischen Judentums zu. Auch wenn nach wie vor Skepsis und Kritik geäußert wird, ist es der Grundtenor dieser Erklärung, dass das Gespräch mit messianisch-jüdischen Gemeinden gesucht werden soll und man diesen Gemeinden aus kirchlicher Sicht weder ihre jüdische Identität noch ihre Zugehörigkeit zum Leib Christi absprechen kann. Damit ist die evangelische Kirche weit über das hinausgegangen, was bis dahin als Status quo galt.
Die Hindernis im Dialog liegen auf der Hand: Im theologischen Bereich bestehen zum Teil nach wie vor noch Vorbehalte, die schon aus dem 2. und 3. Jahrhundert der Kirchengeschichte stammen: Demnach seien messianische Juden eben keine „vollwertigen“ Christen, weil sie sich noch nicht ganz vom Gesetz freigemacht hätten. Oder man unterstellt ihnen die Irrlehre der „Ebioniten“, die die Gottessohnschaft Jesu geleugnet hätten. Vor allem aber – und das ist wohl der wichtigste Grund – sind die messianischen Juden ein Störfaktor für die fragilen Beziehungen zwischen den evangelischen Kirchen und den orthodoxen und liberalen Gemeinden in Deutschland. Hier möchte man mühsam aufgebautes Vertrauen nicht verspielen.
Sie haben verschiedene Bücher geschrieben. Eines davon handelt von den Missverständnissen der Christen. Warum driften das Judentum und das Verständnis der Christen so weit auseinander? Lesen und verstehen Juden und Christen anders und warum?
In dem Buch geht es weniger um die Unterschiede zwischen Juden und Christen beim Lesen der Schrift, sondern mehr um die falschen Vorstellungen, die Christen oft vom Judentum haben. Ich versuche daher ein Grundwissen über das Judentum zu vermitteln, aber nicht – und das ist vielleicht der Unterschied zu anderen Büchern – anhand des heute gelebten Judentums, sondern anhand des Neuen Testaments und der Person von Jesus. Ich gebe ein wenig Orientierung über wichtige jüdische Literatur der damaligen Zeit (Philo, Josephus, Qumran, Talmud und Midrasch) und versuche zu zeigen, wie die Erzählungen des Neuen Testaments durch den jüdischen Glauben geprägt sind.
Gleichzeitig versuche ich an vielen Punkten zu zeigen, wie unser christliches Bild vom Judentum immer noch geprägt ist von vielen traditionellen Vorurteilen. Manche davon habe ich oben schon benannt. Diese Vorurteile sind zum einen geprägt durch die lange christliche Geschichte der Judenfeindschaft. Sie werden aber auch weiter gefördert durch eine unter christlichen Predigern beliebte „Masche“: In dem berechtigten Wunsch, Jesus groß zu machen, werden seine Gegner klein gemacht und als Bösewichter dargestellt. Dabei handelt es sich nun mal meistens um Juden. Und so werden die Juden, ohne dass der Prediger es böse meint, immer wieder zum Paradebeispiel für menschliches Fehlverhalten: Gesetzlichkeit, Engstirnigkeit, Ausgrenzung, Scheinheiligkeit, Selbstgerechtigkeit. „Das war ja damals bei den Juden so…“ ist eine beliebte Einleitung. Und was folgt, ist in vielen Fällen einfach falsch oder frei erfunden: Juden hassten die Samariter, Juden fürchteten sich vor unreinen Menschen, Juden aßen nicht mit Heiden zusammen, Juden suchten dauern nach Tricks, um die Gesetze zu umgehen, bei den Juden waren Heilungen am Sabbat verboten. Und was uns sonst noch so einfällt. Hier müssen Predigerinnen und Prediger rechtschaffener sein, und ihre Hausaufgaben machen, bevor sie solche Vorurteile immer wieder verbreiten. Leider sind auch im christlichen Bereich „erfundene Fakten“ allzu oft die Grundlage für selbst erdachte Glaubenswahrheiten.
Ein weiteres Buch handelt von Paulus. Sie haben sich intensiv mit ihm beschäftigt. Wer war Paulus, was bewegte ihn und warum wurde er für die Christen zum „Vorzeige-Apostel“? Petrus war doch viel näher an Jesus dran, auch räumlich durch die gemeinsamen Jahre mit ihm.
Für die Antwort gibt es hier nicht genug Platz. Deshalb habe ich ja ein Buch geschrieben ;-). Das besondere bei Paulus ist natürlich, dass wir von ihm so viele authentische Schriften aus erster Hand haben. Das haben wir von Petrus nicht (einmal abgesehen von den kurzen Briefen, die aber vermutlich von einem Petrus-Schüler verfasst wurden), nicht einmal von Jesus. Insofern bekommen wir hier Original-Einblicke in das Leben eines Juden, der zum Glauben an Jesus gekommen ist und dies nun anderen zu erklären versucht. Paulus hilft uns deshalb sehr, zu verstehen, was es heißt, an Jesus zu glauben. Wir können uns mit ihm identifizieren, während wir in den Evangelien eher einem Gegenüber begegnen, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.
Ein weiterer Grund, warum Paulus so interessant ist, ist die Vielfalt der Themen, über die er schreibt. Er schreibt die Briefe ja während seiner Missionsreisen, und überwiegend an nichtchristliche Leser. Von daher sind seine Briefe für uns besonders wertvoll, wenn wir uns fragen, wie der jüdische Glaube in neuen Kontexten, etwa einer veränderten Kultur, gelebt und umgesetzt werden kann. Dabei kommen so verschiedene Themen wie Armut und Reichtum, Sex und Familie, Gottesdienstgestaltung und Gemeindeordnung, Politik und Gebet zur Sprache. Und die Frage, wie sich Christen inmitten einer Kultur verhalten sollen, die durch Götzendienst und Ungerechtigkeit geprägt ist. Der feine Mittelweg zwischen ängstlicher Abgrenzung und blauäugiger Anpassung, den Paulus aufzeigt, kann für uns heute immer noch sehr inspirierende Orientierung geben.
Sie haben auf Ihrer Homepage Videoclips über Israel verlinkt. Erzählen Sie uns ein bisschen darüber?
Ich habe gemerkt, dass viele Menschen heute lieber mit Videos lernen als durch Bücher. Im Blick auf biblische Stätten in Israel gilt das noch einmal mehr: Denn auch die schönsten Bilder in Reiseführern oder auf Internetseiten können oft die besondere Atmosphäre eines Ortes nicht wirklich einfangen. Man braucht Bewegung, manchmal auch Geräusche, um einen Ort wirklich kennen zu lernen. Und manches sieht man eben besser, wenn man direkt daneben steht. Deshalb kann nichts die Reise nach Israel ersetzen. Aber für die, die dafür gerade keine Zeit oder kein Geld haben, sollen die kleinen Videos Einblicke geben in wichtige biblische Orte und ihre geistliche Bedeutung.
Der Arbeitskreis Israel hat durch IAM einen neuen Weg beschritten, den Weg des Lernens: Bibel, Glaube, Israel….
Das Buch über die Missverständnisse der Christen ist eines der zur Bearbeitung angebotenen Bücher. Was bedeutet Ihnen die Zusammenarbeit mit dem aki.
Ich freue mich, dass mein Buch in den Lehrplan des I AM Programms aufgenommen wurde und hoffe, dass dadurch viele Leser neue Einsichten und Inspiration bekommen. Inzwischen haben wir ja auch schon zwei Wochenendseminare im Rahmen dieses Programms durchgeführt, wo ich jedes Mal begeistert war über das hohe Interesse und die Lernwilligkeit der Teilnehmer. Nächstes Jahr werde ich leider aus beruflichen Gründen einmal aussetzen müssen, aber ich hoffe, dass ich danach wieder mit Angeboten in das Programm einsteigen kann. Ich finde es eine tolle Idee, den Gemeinden eine Fortbildung dieser Art anzubieten, die sinnvoll aufgebaut und kompetent begleitet ist und am Ende zu einem Ziel führt. Ich hoffe dass viele Teilnehmer dadurch einen neuen Blick für ihren Glauben und seine Verbindung mit dem Volk und dem Land Israel gewinnen.
Was sind ihre weiten Pläne, was steht bei Ihnen aktuell an? Vielleicht ein neues Buchprojekt?
Zur Zeit arbeite ich an einem kleinen Buch über die Bedeutung der jüdischen Feste für die Botschaft der Evangelien. Ich bin überzeugt davon, dass wir die theologischen Grundlinien der Botschaft Jesu nur dann richtig verstehen können, wenn wir die Theologie der jüdischen Feste verstehen, denn Jesus hat seine Botschaft sehr eng mit diesen Festen verknüpft. Als christliche Leser im 21. Jahrhundert ist diese Verknüpfung nicht immer leicht zu erkennen. Aber es lohnt sich, danach zu suchen.
Herr Baltes, wir danken Ihnen, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben und bereit waren, unsere Fragen zu beantworten.
Bücherliste:
- Die verborgene Theologie der Evangelien
- Jesus, der Jude
- Faszination Jesus
- Mehr als nur ein Lied
Homepage: www.bibelentdeckungen.de
Für den Arbeitskreis Israel: April 2020/RK