„Eine solche Entscheidung macht man sich nicht einfach! Aber das Ergebnis, das am Schluss dieses langen Weges stand, war richtig, war gut.“ Tom Franz

Lieber Herr Franz, wir vom Arbeitskreis Israel haben unter der Rubrik „Nachgefragt“ eine Untergruppe mit „Nachgefragt - Leute“.
Hier sollen Menschen zu Wort kommen, die in Israel oder den Palästinensergebieten leben oder die sich auf irgendeine Art für Israel und die Menschen dort engagieren. Sie sind Deutscher, leben in Israel. Sie leben in Tel Aviv, einer jungen, pulsierenden, eher säkular geprägten Stadt und haben doch einen Schritt gewagt, der uns bewogen hat, Sie zu fragen, ob Sie bereit wären, uns ein wenig aus Ihrem Leben zu erzählen. Wir danken Ihnen, dass Sie dazu bereit sind und sich Zeit für uns nehmen.

Herr Franz, Sie sind Deutscher, in Deutschland aufgewachsen. Dann kam über einen Schüleraustausch der Kontakt mit Israel zustande. War dies der Knackpunkt für Ihre Liebe, Ihr Interesse für Israel?
Ja, es muss so gewesen sein, denn ich hatte vorher keinen Kontakt zu Juden, zu Israel. Durch den Schüleraustausch lernte ich eine völlig andere Mentalität kennen, die Fröhlichkeit, der Zusammenhalt faszinierte mich und ich begann mich für das Land und die Menschen dort zu interessieren.

Sie haben über „Aktion Sühnezeichen“ Ihren damals noch 18-monatigen Zivildienst in Israel geleistet und u.a. mit Schoah-Überlebenden gearbeitet. Wie kommt man auf die Idee, sich auf eine Zivildienststelle in Israel zu bewerben?
 Nach dem Abitur hatte ich zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht und mich für den Zivildienst zurückstellen lassen. Ich war inzwischen noch ein paar Mal in Israel gewesen und der Zivildienst bot mir die Gelegenheit für eine längere Zeit in Israel leben zu können. Ich habe mich auf die Zivildienststelle beworben, und dass es geklappt hat: ja, es passte einfach. Es war eine prägende Erfahrung, mit Schoah-Überlebenden, Zeit zu verbringen, sie näher kennen zu lernen und ihre Geschichten in persönlichen Gesprächen zu erfahren. Obwohl ich damals davon ausging, beruflich keinen Nutzen zu haben, nutzte ich die Zeit des Zivildienstes auch, um mir Grundkenntnisse in Hebräisch anzueignen.

Sie kamen zurück nach Deutschland, haben Jura studiert, hier gearbeitet, aber Israel hat Sie nie wirklich losgelassen?
Ich hatte während der Zeit meines Zivildienstes keine Beziehungen aufgebaut, hatte nicht wirklich in dem Land Fuß gefasst. Ich bin zurück nach Deutschland, habe Jura studiert und auch danach als Anwalt gearbeitet, eine Karriere aufgebaut, aber Israel hat mich in der Tat nie wieder losgelassen. Als ich zum Glauben fand, war für mich aber klar, dass Glaube nur im Zusammenhang mit dem Judentum für mich praktizierbar war. Ich war früher Atheist und keineswegs auf der Suche nach Religiösität. Durch eine Nahtoterfahrung fand ich Zugang zum Glauben. Diesen Glauben im Judentum auszuleben, war keine wirkliche Entscheidung, sondern eher eine logische Notwendigkeit aus meinen Begegnungen mit dem praktizierten Judentum, das auf mich immer schon authentisch und anziehend gewirkt hatte. Ich habe mich praktisch erst nach meiner Entscheidung, zu konvertieren, näher und tiefer mit dem Judentum als Art zu leben beschäftigt.

Israel ist das Eine. Aber Sie gingen einen Schritt weiter. Sie waren ursprünglich Katholik und haben sich entschieden, zum Judentum zu konvertieren. Warum?
Die Entscheidung dafür war ein langer Weg, insgesamt über acht Jahre hinweg. Eine solche Entscheidung macht man sich nicht einfach, aber das Ergebnis, das am Schluss dieses langen Weges stand war richtig und gut. Ich kam mit Anfang Dreißig zu dem Schluss, dass ich mein Leben so wie geplant gut würde leben können, aber nie ganz glücklich werden würde. Etwas würde fehlen. Dieses Etwas, das sich mit einer unbestimmten Sehnsucht, nach etwas Verlorenem, das ich aber weder kannte, noch nennen konnte, beschreiben lässt. Es war die Entscheidung, meine bis dahin gelebte Priorität „Karriere“, einem neuen, spirituellen Leben zu opfern und noch mal neu anzufangen. In der folgenden Zeit, in der ich diese Opfer materiell zu spüren bekam, war ich glücklicher als je zuvor.

Wie reagierte Ihr Umfeld darauf? Familie, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen?
Dass ich Israelfan war, wusste jeder in meinem Umfeld. Der Schritt, meine Karriere zu riskieren, Religion zu meinem Hauptinhalt zu machen und letztlich vom Katholismus zum Judentum zu konvertieren, war dann aber doch ein Schock, vor allem für meine Eltern. Damit hatte keiner gerechnet, ich ja auch nicht.

Sie sind dann nach Israel gegangen, um sich darauf vorzubereiten, Jude zu werden. Wie reagierten die Rabbiner, das Rabbinat darauf, dass ausgerechnet ein Deutscher kommt und Jude werden will?
Die Nationalität ist für das Rabbinat erst mal uninteressant. Für sie stellt sich die Frage, warum will jemand konvertieren. Was sind die Beweggründe, was bedeutet der jüdische Glaube für diese Person. Warum kann oder will diese Person den Glauben nicht in seiner Religion leben. Dies wird heraus gearbeitet. Interessant wäre der Punkt nur, wenn sich dabei herausstellen würde, dass jemand den Schritt aus Sühne, z.B. für die Schoah vollziehen möchte. Da würde das Rabbinat klar sagen, dies ist kein Grund zu konvertieren. Die Frage ist, wer ist Gott für mich, was bedeutet die Thora für mich, was glaube ich. Wenn dies mit dem jüdischen Glauben übereinstimmt, steht einer Konversion nichts im Wege. Aber dies ist ein langer Weg, bei mir dauerte die Vorbereitung etwa drei Jahre und dies waren intensive Jahre.

Wie reagieren die Israelis heute darauf, dass ein deutscher Katholik zum Judentum konvertiert ist?
Es kommt darauf an, mit welchen Israelis Sie reden. Treffen Sie auf säkulare Israelis spielt Religion keine Rolle, denen ist es egal, welcher sie angehören oder in welche sie konvertiert sind. Die orthodoxen Juden finden es super. Der Stellenwert eines Konvertiten ist hoch, denn dieser wird ja nicht in das Judentum hineingeboren, sondern er muss sich anstrengen, um aufgenommen zu werden. Das zählt schon viel.

Heute leben, arbeiten Sie in Israel. Sie haben eine Familie gegründet. Dann gab es 2013 erneut einen Einschnitt in Ihrem Leben. Sie nahmen an dem israelischen Kochwettbewerb „MasterChef“ teil und gewannen. Wie kam es zu der Teilnahme und hat es Ihr Leben verändert?
Kochen war schon immer mein großes Hobby, schon während der Studentenzeit.  Ich hatte immer wieder Neues ausprobiert, Neues getestet, mit Varianten gespielt. Das änderte sich auch nicht, als ich meine spätere Frau kennen lernte. Sie hatte beruflich mit Kochen zu tun, war als PR-Beraterin für Meisterköche und Restaurants tätig und hatte schon beim ersten Mal, als ich für sie gekocht hatte, mein Talent entdeckt. Drei Jahre hat sie immer wieder versucht, mich zu überzeugen, dass die Teilnahme an dem Kochwettbewerb genau das richtige für mich wäre. Mir war klar, wenn ich es machen würde, könnte dies mein Leben erneut verändern, dies müssten aber auch meine Eltern verkraften. Erst die Auswanderung mit anschließendem konvertieren und nun vielleicht noch ein neuer Beruf? Als ich mich schließlich bewarb und zur Teilnahme zugelassen wurde, bereitete ich mich genauso intensiv auf die einzelnen Fernsehsendungen vor, wie ich mich vorher auch auf meine Jura-Prüfungen/Staatsexamen oder auf mein Konvertieren vorbereitet hatte. Stundenlang beschäftigte ich mich mit Kochbüchern, stand in der Küche und probierte aus.

Ja, der Deutsche kam gut an, die Mischung von deutscher und israelischer Küche und meiner Sorgfalt war wohl interessant genug, dass es die Jury überzeugte. Was hat sich geändert? Heute bin ich das, was man in Deutschland wohl einen Medienkoch nennt. Als Anwalt bin ich nicht mehr tätig, die neue Aufgabe füllt meine Zeit aus.

Der Arbeitskreis Israel hat ja mit seiner Interviewreihe das Ziel, mit Menschen zu reden, die etwas für Israel tun oder/und in Israel leben. Bei Ihnen trifft beides zu. Sie kommen heute auch nach Deutschland zu Vorträgen. Als Botschafter für Ihr gewähltes Heimatland, als Brückenbauer für beide Nationen. Wie sind Ihre Erfahrungen? Spüren Sie Gegenwind, wenn sie in Deutschland unterwegs sind?
Nun, wenn ich in Deutschland unterwegs bin, trage ich keine äußerlichen religiösen Zeichen wie Kippa oder sichtbar die Quasten des Gebetsschals. Auf der anderen Seite bin ich inzwischen auch in Deutschland bekannt, so dass ich als Jude wahrgenommen werden kann. Meine Erfahrungen sind gut, aber ich werde auch von Israel nahestehenden Organisationen eingeladen, nicht von den Gegnern. Und meine Aufgabe ist das Kochen, nicht die Politik. Ich muss mich dazu nicht äußern.

Kommen wir ein bisschen zur israelischen Küche, die es ja im Prinzip gar nicht gibt. Alle Einwanderer haben ihre Gerichte mitgebracht oder gibt es doch etwas, das Sie als typisch israelisch bezeichnen würden?
Die Einwanderer haben in der Tat ihre Gerichte mitgebracht, die sie zuhause zubereitet haben, aber die regionale Küche hat viel übernommen: Falaffel, Humus, Hülsenfrüchte, Auberginen, Tomaten. Und natürlich viele Gewürze, viele Kräuter. Während man in Europa eine Prise von einem Gewürz verwendet, würzt man hier großzügig. Und dann die Kräuter. Wir haben in der israelischen Küche Salate, die nur aus Kräutern bestehen. Das würde ich dann schon als israelische Küche bezeichnen.

Sie haben ein Kochbuch geschrieben mit dem Titel „So schmeckt Israel“. Frage: wie kocht Israel, was ist das Besondere. Was unterscheidet oder verbindet israelische Küche und die deutsche Küche? Kann man da kombinieren?
Sie können kombinieren. Natürlich keine Schweinshaxe. Die Frage ist, in wie weit kann ein Gericht koscher gemacht werden. Die Mischung mit deutschen Gerichten kommt hier in Israel aber gut an. Z.B. lässt sich ein rheinischer Sauerbraten ausgezeichnet mit Feigen kombinieren. Oder Reibekuchen mit Gewürzkompott. Feigen, eine der typischen Landesfrüchte hier und Gewürzkompott, immer wieder die intensiven Gewürze.

Interessant ist übrigens, dass es in Deutschland, Österreich und Ungarn bis vor dem Zweiten Weltkrieg Dutzende, jüdischer Kochbücher gab, die auf Deutsch verlegt wurden. Diese einzigartige Küche ist leider dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen. Die wenigen Kochbücher, die erhalten geblieben sind, sind in gothischem Deutsch gedruckt und können von den Erben nicht mehr gelesen werden. Sie wurden häufig weg geworfen oder sind in Antiquariaten und bei Sammlern gelandet. In Israel ist diese deutsch-jüdisch Küche heute, bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Tscholent, Gefillte Fisch) als fad und blass verpönt.

Genießen die Israelis mehr als zum Beispiel wir in Deutschland?
Ja, ich glaube schon, sie nehmen sich mehr Zeit. Es ist intensiver. Schon allein der Shabbat. Jeder Shabbat ist ein Feiertag, wo sich die Familie trifft, zusammensitzt, Zeit mit einander verbringt. Wir Deutsche kennen dies vor allem von Weihnachten, wo sich die Familie trifft. Stellen Sie sich vor, in Deutschland wäre jede Woche Weihnachten. Das ist Israel.

Wenn Sie heute auf Ihr Leben zurück blicken, würden Sie die Schritte wieder machen?

Ja - einfach ja.

Danke für das Interview, Herr Franz. Danke, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.

Für den Arbeitskreis Israel / R.K. November 2016