Ich versuche Wissen zu vermehren, über die Gemeinde, die vor 2000 Jahren in Jerusalem lebte. Das bewegt mich bei meiner Arbeit.

Interview des Arbeitskreises Israel mit Ronny Reich, Archäologe

Wir, vom Arbeitskreis Israel, führen seit einigen Jahren Interviews mit Menschen, die etwas für Israel tun oder mit Menschen, die aus Israel stammen und sich für ihr Land einsetzen. Wir fragten Ronny Reich, einen israelischen Archäologen, der an den Ausgrabungen an der Klagemauer und der alten Davidstadt beteiligt war, ob er uns ein paar Fragen beantworten würde.

Lieber Herr Reich, Sie sind Israeli, Sie sind Holocaustüberlebender der 2. Generation, Sie sind Archäologe, Professor, Dozent,….
Sie blicken auf ein bewegtes Leben zurück. Würden Sie uns ein bisschen etwas über  sich erzählen?
Meine Mutter Herta Reich (geb. Eisler) stammte aus dem österreichischen Mürzzuschlag. Sie war die einzige überlebende Frau des Kladovo-Transports. Auch mein Vater Romek und sein Bruder Stefan überlebten. Meinen Vater Romek lernte sie auf ihrer sechs Jahre dauernden Flucht kennen. Sie heiraten 1941 und konnten 1944 schließlich nach Palästina einreisen. Mein Vater fiel im Juli 1948 bei Ludd im Zuge des Unabhängigkeitskrieges. 

Ich studierte Archäologie und Geographie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Meine Magisterarbeit behandelte die assyrische Architektur im Land Israel. Durch meine Mitarbeit bei den Ausgrabungen im jüdischen Viertel der Altstadt von Jerusalem veränderte sich die Interessenlage aber weg von der Eisenzeit, hin zur frühen römischen Zeit. Ab 1989 begann ich in der Jerusalemer Altstadt mit eigenen Ausgrabungen. 

Parallel hierzu war ich zwischen 1978 und 1995 als Leiter des wissenschaftlichen Archivs und des Gebietes Archäologie in der israelischen Antiken-Behörde tätig. Ab 1995 war ich Dozent für klassische Archäologie an der Universität in Haifa. 2002 wurde ich zum „Associate“ Professor und 2006 zum „Full“ Professor befördert. Zwischen 2002 und 2005 leitete ich auch die archäologische Abteilung. 

Ihre Mutter hat den Holocaust überlebt, Ihr Vater fiel im Unabhängigkeitskrieg von 1948. 
Wenn Sie zurückdenken, welche Rolle spielte der Holocaust in Ihrem Leben, in Ihrer Familie? Viele Holocaustüberlebende konnten nicht über das Geschehene reden. War es in Ihrer Familie ein Thema?
 
Nein, unsere Familie bestand nur aus zwei Personen, meiner Mutter und mir und es wurde wenig über diese Zeit gesprochen. Als ich dann meine eigene Familie gegründet habe und  meine Kinder größer wurden, habe ich es mir von meiner Mutter gewünscht, dass sie über diese Zeit spricht. Sie hat dann ihre Erlebnisse in einem Buch niedergeschrieben mit dem Titel: „Zwei Tage Zeit – die Flucht einer Mürzzuschlager Jüdin“. Dieses Buch wurde auf Deutsch in Graz veröffentlicht und ich habe es ins Hebräische übertragen. So haben es auch meine Kinder gelesen.

Die Nazis wollten die Juden ausrotten. Die Palästinenser heute versuchen alles, die Welt zu überzeugen, dass es keine jüdische Verbindung zu Israel, zu Jerusalem gibt. Sie sind Archäologe, Sie haben vor allem in Jerusalem ausgegraben. Sie geben damit Ihrem Volk ein Stück seiner Identität zurück. Was bedeutet Ihnen dies?
Ich bedaure die Palästinenser, die versuchen, sich eine Geschichte zu erzeugen durch die Auslöschung einer anderen Geschichte, der jüdischen Geschichte. Aber die Archäologie beweist die jüdische Geschichte. Leider gibt es keine Inschriften in arabisch in den unteren Schichten der Ausgrabungen, während Inschriften in hebräisch, aramäisch und griechisch häufig vorzufinden sind. Dass die jüdische Präsenz in dem Land unbestritten ist, hängt auch mit der christlichen Welt zusammen. Jesus aus Nazareth war doch ein Jude. Erst vor einigen Monaten haben wir eine hebräische Inschrift gefunden; die ca. 2000 Jahre alt ist. Sie lautet: Hananya Bar Didlos von Yeruschalayim (also von Jerusalem)

Sie selbst haben vorwiegend in Jerusalem gearbeitet. Israel ist ja eine einzige Fundgrube, wo immer man zu graben beginnt, kommt jüdische Geschichte zum Vorschein. Warum die Entscheidung für Jerusalem?
Erstens muss ich sagen, ich habe auch an muslimischen Orten ausgegraben. Diese sind für mich genauso wichtig wie die jüdischen Orte. Alle Ausgrabungen bekommen bei mir dieselbe Zuwendung und Rücksichtsnahme, egal, ob jüdisch oder muslimisch. 

Jerusalem war Zufall. Ein Kollege hat mir die Arbeit in Jerusalem für drei Monate angeboten, aus den drei Monaten wurden 10 Jahre und so blieb ich in Jerusalem.

Sie haben sich auf die Zeit des 2. Tempels und die römische Periode spezialisiert. Seit Jahren bestreiten die Palästinenser, dass es einen 2. Tempel gab. Als sie vor Jahren die sog. Salomonischen Ställe in eine unterirdische Moschee verwandelten, vernichteten sie Unmengen an Schutt, fuhren auch noch mutwillig darüber, um ja alles zu zerstören, was auf die jüdische Identität hingewiesen hätte. So etwas muss für ein „Archäologenherz“ schrecklich sein, oder?
Mein damaliger Chef, Amir Drori, hat es ein archäologisches Verbrechen genannt. Sie haben damit nicht nur jüdische Schichten zerstört, sondern auch islamische Schichten. Dies schien sie allerdings bei dem Vorhaben nicht zu stören. Das Schlimme dabei war, dass die israelische Regierung nichts machte und einfach zuschaute. Der Direktor der Archäologischen Behörde, Drori, hat keine Autorität am Tempelberg, da es als Heiliger Ort definiert ist. 

Trotz allem fanden sich aber auch hier noch Fundstücke. Wie schwierig ist die Zuordnung von Fundstücken zur Geschichte, wenn man es nicht an der Stelle findet, wo es eigentlich hingehört hat?
Richtig gesagt, der Kontext von einem Fund ist sehr wichtig, ansonsten kann man die Funde nur en block betrachten, also wie viele Scherben stammen aus der Bronzezeit oder der Eisenzeit. Aber den geschichtlichen Zusammenhang herzustellen, ist sehr schwierig. 

Im Bereich des Tempelbergs, der Klagemauer entstand ein großes Ausgrabungsareal. Seit Jahren wird hier geforscht. Was waren die wichtigsten Funde, die hier gemacht wurden?
Diese Frage kann man nicht richtig beantworten. Jeder Forscher hat „seine Lieblingszeit“. Für mich persönlich ist nicht der Fund das Wichtigste, sondern den Zusammenhang herzustellen. 

Ihre vielleicht wichtigste Ausgrabung fand in der alten David-Stadt statt. Es wurde ein Teich gefunden, der Siloah-Teich. Würden Sie uns etwas darüber erzählen?
Das würde den Rahmen hier sprengen. Nur soviel: Im Juni 2004 grub ich mit meinem Kollegen Eli Shukron im Bereich der Gihonquelle. Dabei beobachte mein Kollege städtische Bauarbeiter, die in der Nähe des bisher bekannten byzantinischen Siloah-Teiches eine Abwasserleitung neu verlegten. Schließlich entdeckte er im Schutt zwei antike Stufen. Ich vermutete, dass es sich hierbei um die Stufen zum Siloah-Teich aus der Zeit der zweiten Tempelperiode handeln musste. Daraufhin begannen wir mit den Ausgrabungen. 

Ich habe ein Buch darüber geschrieben, in Englisch und in Hebräisch: „Excavating the City of David, Israel Exploration Society“, 2011

Wir kennen den Siloah-Teich aus der Bibel. Wenn man als Archäologe so einen Fund macht, der die Geschichte des Volkes bestätigt und der die Bibel bestätigt, was bewegt einen da?
Der Teich selber ist nur im Neuen Testament erwähnt. Der Name Shiloah (ohne Teich) kommt in der Hebräischen Bibel vor. Ich versuche keinen Text zu bestätigen, weil Texte von Menschen geschrieben und daher falsch sein können und es manchmal auch sind, auch wenn sie aus der Bibel stammen. Aber ein gebauter Teich aus dem 1. Jahrhundert ist nun mal ein Teich aus dem 1. Jahrhundert. Den kann man ansehen. Ich versuche Wissen zu vermehren, über die Gemeinde, die vor 2000 Jahren in Jerusalem lebte. Das bewegt mich bei meiner Arbeit. 

Sie haben sich aus dem aktiven Archäologenleben zurückgezogen, nach vielen Jahrzehnten. Wie sieht Ihr Leben heute aus? 
Wir sind nach 52 Jahren von Jerusalem nach Modi`in umgezogen, aber ich arbeite noch jede Woche 1-2 Tage in Jerusalem, schreibe an meinen Berichten. 

Und ich habe ein außergewöhnliches Hobby: Gedichte übersetzten, in Reim und Meter, ins Hebräische, aber auch ins Englische und Deutsche. 

Und um meine fünf Enkelsöhne, die mir viel Freude machen, muss ich mich ja auch kümmern. 

Lieber Herr Reich, wir danken Ihnen, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben und wünschen Ihnen für die kommende Zeit alles, alles Gute. Toda raba.

Für den Arbeitskreis Israel 

November 2018 / R.K.