
Interview des Arbeitskreises Israel mit Frank Clesle, Leiter der Zedakah-Zentrale in Maisenbach
Israel zu trösten ist eine Aufgabe,
die uns begleiten wird, bis Jesus wiederkommt.
Frank Clesle
Wir, vom Arbeitskreis Israel, führen seit einigen Jahren Interviews mit Menschen, die etwas für Israel tun oder mit Menschen, die aus Israel stammen und sich für ihr Land einsetzen. 1936 baute der ehemalige Prediger der Liebenzeller Mission Friedrich Nothacker in Maisenbach das Gästehaus Bethel, das Christen Erholung und Unterweisung bieten sollte. Dieser Auftrag veränderte sich nach dem Krieg. Wir haben mit Frank Clesle, dem Leiter von der Zedakah-Zentrale in Maisenbach über diese spannende und herausfordernde Zeit, die bis heute anhält, gesprochen.
Lieber Herr Clesle, Sie sind der geschäftsführende Leiter der Zedakah-Zentrale in Maisenbach. Würden Sie uns ein bisschen etwas über sich erzählen?
Sehr gerne! Ich bin 1982 geboren, seit 2007 mit Christina verheiratet und lebe mit meiner Familie seit Oktober 2012 in Bad Liebenzell-Maisenbach direkt neben der Zedakah-Zentrale und dem zugehörigen Gästehaus Bethel. Vor meiner Zeit bei Zedakah habe ich als Dipl.-Ing. (FH) in einem Ingenieurbüro in Stuttgart-Weilimdorf gearbeitet und von Oktober 2009-2014 berufsbegleitend eine theologische Ausbildung am BSK in Ostfildern gemacht.
In meiner Freizeit genieße ich das Familienleben mit meiner Frau und unseren 3 Kindern und fahre gerne Mountainbike.
Wie kamen Sie zum Thema Israel?
So richtig eigentlich erst durch meinen Zivildienst bei Zedakah im Altenpflegeheim Beth Elieser in Maalot (Israel) von November 2001 bis Januar 2003. Damals hat mir der Gott Israels, den ich durch Jesus Christus meinen Vater im Himmel nennen darf, die Liebe zu seinem Volk ins Herz gelegt. Durch eindrückliche Begegnungen mit Holocaustüberlebenden hat er mir klargemacht, dass ich als junger deutscher Christ zwar keine Schuld habe an den Geschehnissen vor 1945, aber eine (Mit-)Verantwortung trage für das, was heute in Deutschland im Blick auf die Juden / Israel in meinem Umfeld geschieht.
ZEDAKAH e.V. kümmert sich seit über 60 Jahren um Holocaustüberlebende in Israel und ist Mitglied im Diakonischen Werk der Ev. Landeskirche in Württemberg (mehr unter www.zedakah.de).
Das Haus in Maisenbach entstand ja bereits vor dem 2. Weltkrieg in den 30-er Jahren. Wie kam es dazu und wie überstand das Haus den 2. Weltkrieg?
Alles begann mit einem Mann, der im sog. „Dritten Reich“ den Mut hatte, zu seinen Überzeugungen zu stehen und nicht im Strom der Masse mitzuschwimmen. Sein Name: Friedrich Nothacker. Am 3. Oktober 1901 in dem wunderschön gelegenen Nordschwarzwalddorf Maisenbach-Zainen geboren, wurde Friedrich Nothacker nach seiner Ausbildung bei der Liebenzeller Mission ab Juni 1932 Prediger in einer Gemeinde in Nürnberg. Dort erlebte er die Anfänge und das Erstarken der NSDAP, wurde selbst bespitzelt und verhört. Aufgrund einer Lungenkrankheit schickten ihn die Ärzte jedoch nach wenigen Jahren wieder zurück an die gesunde Schwarzwaldluft. Daraufhin bauten Friedrich und Luise Nothacker 1936 auf einem geerbten Grundstück in seinem Heimatdorf eine kleine Pension, das christliche „Gästehaus Bethel“.
Schon bald wurde auch das kleine Dorf Maisenbach-Zainen von der NS-Ideologie überschattet. Nothacker war es jedoch wichtig, mutig das weiterzugeben, was ihm durch das Studieren der Bibel und aus dem Glauben an Jesus Christus heraus wichtig war. So verkündigte er im Rahmen seiner Predigten trotz Einschüchterungsversuchen: „Israel ist Gottes erwähltes Volk.“
Besonders deutlich wurde dieses Bekenntnis, als am 1. Mai – also an dem Tag, den die Nationalsozialisten seit 1934 als „Nationalen Feiertag des deutschen Volkes“ groß feierten – ein Umzug stattfinden sollte. Der Ortsgruppenleiter von Maisenbach-Zainen hatte dafür die klare Anweisung gegeben, dass jedes Haus geschmückt und mit der Hakenkreuzfahne „beflaggt“ werden müsste. Friedrich Nothacker war damit nicht einverstanden. Seine Frau Luise war künstlerisch begabt und arbeitete die ganze Nacht vor dem 1. Mai an einer adäquaten „Flagge“. Und so hing am nächsten Tag am Gästehaus Bethel ein Banner mit der Aufschrift: „An Gottes Segen ist alles gelegen.“ Man kann sich vorstellen, dass dies einen großen Rumor gab, nicht nur im Dorf, sondern auch darüber hinaus. Die Nazis schafften es schließlich, dass dem christlichen Gästehaus Bethel die Betriebslizenz entzogen und Friedrich Nothacker, trotz chronischer Lungenkrankheit, am 21. Februar 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde.
Nach dem 2. Weltkrieg ging der Gästebetrieb weiter und in den 50-er Jahren kam die Jüdin Helene Wyman ins Haus Bethel und diese Begegnung veränderte das Leben und das Wirken von Friedrich und Luise Nothacker. Erzählen Sie uns ein wenig über diese Zeit und was für ein Glaubensschritt dahinter steckte?
Was Friedrich Nothacker in seiner Zeit als Sanitäter bei der Deutschen Wehrmacht, unter anderem bei Fahrten durch das Warschauer Ghetto erleben musste, hat ihn Zeit seines Lebens nicht mehr losgelassen. Seine Frau Luise berichtete: „Nachher plagten ihn oft Schuldgefühle, weil er nicht irgendwie versucht hat, Brot aus dem Auto fallen zu lassen für die ausgehungerten jüdischen Ghettobewohner.“
Hermann Stahl, ehemaliger Ortsvorsteher von Maisenbach-Zainen und Friseur von Friedrich Nothacker erzählte im Jahr 2016, dass Nothacker nach dem Krieg innerlich verändert zurückgekommen war und gerne etwas Gutes für die jüdischen Mitmenschen getan hätte, die den Holocaust überlebt hatten. Aber er wusste nicht, wie und was er hätte tun können.
Durch eine besondere Führung kam die messianische Jüdin Helene Weinmann 1955 als Gast in das nach dem Krieg wiedereröffnete Gästehaus Bethel. Sie berichtete Luise Nothacker von ihrem Anliegen: „Ich suche einen Mann, der die Not meines Volkes auf sein Herz nimmt.“ Drei Jahre später kam Friedrich Nothacker auf Einladung von Helene Weinmann im Januar 1958 zum ersten Mal nach Israel.
Auf der Reise durch Israel und bei Begegnungen mit Juden im Land wurde Friedrich Nothacker immer deutlicher, dass es sein Auftrag war, Helene Weinmann in ihrem Herzensanliegen zu unterstützen, den Geschundenen ihres jüdischen Volkes Gutes zu tun und sie angesichts des unfassbaren Leids, das sie erfahren hatten, zu „trösten“. Helene Weinmann selber hatte mehr als siebzig Verwandte im Holocaust verloren und hatte selbst erfahren, dass allein die Liebe Wunden heilen oder wenigstens die großen Schmerzen lindern kann. So begann die bereits 81-Jährige im Jahr 1959 mit Unterstützung durch den von Friedrich Nothacker bereits 1954 gegründeten Christlichen Hilfsbund e. V. (später Zedakah e. V.), in einer kleinen Mietwohnung in Haifa erste KZ-Überlebende aufzunehmen und ihnen Gutes zu tun. Tragischerweise kam Helene Weinmann schon kurze Zeit später überraschend durch einen Unfall am 15. September 1959 ums Leben.
Für das Ehepaar Nothacker und die anderen Mitglieder des Christlichen Hilfsbunds e. V. war klar: Der Dienst muss weitergehen! Als die Vereinsmitglieder Ende 1959 gemeinsam mit einigen anderen Christen aus Deutschland den Entschluss zum Kauf einer verlassenen Pension am Strand der Küstenstadt Naharija im Norden Israels fassten, hatten sie mehr Gottvertrauen als Geld. „Doch der Herr, dessen Silber und Gold ist, ließ uns Schritt für Schritt seine Hilfe erfahren“ , so schrieb Luise Nothacker über jene Zeit.
Das erste Arbeitsfeld in Israel entstand dann 1960 in Naharija, später ab 1969 in Shavei Zion mit dem Gästehaus Beth El, das bis heute Holocaustüberlebenden ermöglicht, für 10 Tage kostenlos Urlaub am Mittelmeer zu verbringen. Wie muss man sich die Arbeit dort vorstellen?
Ende April 1960 wurde das Erholungsheim Beth-El – wie das Gästehaus in Naharija von den Eheleuten Nothacker benannt wurde – feierlich eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben. Einige Tage nach der Einweihung wurden die ersten Holocaustüberlebenden als Gäste aufgenommen. Ein jüdischer Journalist und später enger Freund von Zedakah, Erich Lehmann, war ebenfalls bei der Einweihung anwesend. Er berichtete von diesem Ereignis in den großen Zeitungen des Landes, dass Deutsche ein Gästehaus eröffnet hatten, das jüdische Holocaustüberlebende zu einer 14-tägigen kostenlosen Erholung einlud. Dadurch wurde das „Liebeswerk Zedakah“ bald sehr bekannt, sodass viele Erholungsanfragen von seelisch wie körperlich leidenden Überlebenden des Holocaust im Gästehaus Beth-El eingingen. Verwunderlich, nach allem, was diese Menschen von Deutschen und auch von Christen im Nationalsozialismus hatten erleiden müssen. Aber sie kamen!
Die Gäste waren zunächst sehr vorsichtig und innerlich verschlossen. Aber schon nach wenigen Tagen wirkte es wie Balsam für ihre verwundeten Seelen, dass sie von Christen aus Deutschland in solch liebevoller Weise umsorgt wurden.
Aufgrund der Vielzahl von Anfragen notleidender Überlebender des Holocaust war das kleine Beth-El trotz einer zusätzlichen Aufstockung sehr schnell zu klein für die große Aufgabe geworden.
 Der Bau des neuen Erholungsheims Beth El in Shavei Zion dauerte fast zweieinhalb Jahre. Es war eine herausfordernde Zeit zwischen Glauben und Anfechtung. Geld- und Mitarbeiterknappheit, aber auch der Sechs-Tage-Krieg 1967 und der Tod des Werksgründers Friedrich Nothacker, sowie die damit verbundene Regelung der Leitung des Werks waren Hürden, die mit Gottes Hilfe überwunden werden konnten. Friedrich Nothacker starb aufgrund einer Krankheit am 20. September 1968. So konnte er die feierliche Einweihung am 4. März 1969 nicht mehr miterleben. Kurz danach wurde der ohne Unterbrechung durchgängig laufende Gästebetrieb von Naharija nach Shavei Zion verlegt.
Auch in Shavei Zion wurde das bewährte Konzept aus Naharija aufgenommen und bis heute weitergeführt. Den Gästen wird mit Liebe und Rücksicht begegnet. Die Küche ist koscher geführt, die jüdischen Feste werden gefeiert und ein geistliches Programm entsprechend des jüdischen Glaubens angeboten. Der wöchentliche Höhepunkt ist die feierliche Begrüßung des Schabbats mit Entzünden der Kerzen, Kiddusch und einem festlichen Abendessen in der großen Gemeinschaft der Gäste und Mitarbeitenden, bei dem fröhlich gesungen wird. So kann das Angebot auch von religiösen Juden angenommen werden. Zugleich möchte man den Gästen in ganzheitlicher Weise dienen, sie trösten. Da der Holocaust nicht nur körperliche und psychische Wunden geschlagen hat, sondern nicht wenige auch an Gott zweifeln lässt, wird hier ein Raum geboten, in dem an Traditionen des Glaubens mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs angeknüpft werden kann.
Im Jahr 1984 kam ein weiteres Betätigungsfeld in Israel dazu, das Pflegeheim in Maalot. Hier werden Pflegebedürftige, die den Holocaust überlebt haben, gepflegt. In beiden Häusern arbeiten Deutsche. Wie gehen Holocaustüberlebende und ihre Angehörigen damit um, dass sich Deutsche, die für sie ja aus dem Tätervolk stammen, um sie kümmern, sie versorgen und sie pflegen?
Das Haus verfügt über 24 Plätze. Aufgrund der individuellen Pflege und des gemeinsamen Lebens entstehen, trotz oftmals anfänglicher Skepsis auf Seiten der Überlebenden, allermeist recht bald enge und vertrauensvolle Beziehungen. Die meisten Bewohner verbringen den letzten Abschnitt ihres Lebens mit der „Beth Elieser-Familie“. Besonders berührend ist es, wenn Bewohner, die aus Gründen, die oftmals mit dem Holocaust zusammenhängen, selbst keine Kinder und Enkel haben, solch eine vertrauensvolle Beziehung zu den meist jungen Volontären aus Deutschland entwickeln, dass sie diese als ihre „Ersatzenkel“ bezeichnen. Natürlich bleiben andererseits besondere Zwischenfälle und vereinzelte Re-Traumatisierungen nicht aus.
Wie im Gästehaus in Shavei Zion ist auch hier die Küche koscher und die jüdischen Feste werden gemeinsam gefeiert. Es wird miteinander gesungen, gelacht, gespielt, geweint. Mit einem vielfältigen Angebot werden die Bewohner auf der letzten Strecke ihres Lebenswegs angemessen begleitet. Auch hier sind die Plätze begehrt und die Warteliste ist lang. Auf einen freien Platz kommen über 30 Anfragen. Darum ist eine schrittweise Erweiterung des Altenpflegeheims auf bis zu 72 Plätze in Planung. Der Bedarf für diese besonderen Pflegeplätze wird auch in den nächsten 10 -15 Jahren hoch bleiben. Allein in Israel leben noch ca. 110.000 Überlebende des Holocaust.
In beiden Häusern arbeiten Sie neben mit festangestellten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auch mit Volontären. Wie schwierig ist es, für diese Arbeit junge Menschen zu begeistern?
Meine Erfahrung mit den jungen Menschen ist, dass viele sehr bewegt sind, wenn sie unsere Aufgabe verstanden haben: dass es eine Arbeit ist, die von Herzen kommt und die zu Herzen geht. Dass es eine besondere Chance ist, so lange noch Holocaustüberlebende der ersten Generation leben, diesen wirklich mit der Liebe, die Jesus schenkt, zu dienen.
Außerdem freuen sich viele, dass es so wenige Hürden für einen Freiwilligendienst bei Zedakah gibt: Man muss keinen Spenderkreis aufbauen, der monatlich eine bestimmte Summe zur Verfügung stellen muss. Es muss keine Sprachbarriere überwunden werden, da unter den Mitarbeitern deutsch gesprochen wird. Die meisten Jungs genießen es, dass Essen „serviert“ und die Wäsche gewaschen wird. Man ist auch als Volontär vor Ort nicht allein, sondern in der Regel eingebunden in eine große Gemeinschaft von 30-35 Volontären an zwei nahe beieinanderliegenden Standorten. Es wird ein Mitarbeiterauto für Ausflüge zur Verfügung gestellt. Und das Besondere: Man lebt im Land der Bibel, in dem Land, in dem Jesus lebte - zusammen in einer großen Gemeinschaft mit Menschen aus dem Volk Israel, mit denen man die jüdischen Feste feiert und Freude und Leid „hautnah“ teilen kann.
Die Herausforderung jedoch ist aktuell der Krieg und die damit verbundenen Ängste.
Häufig sind Volontäre von einem Einsatz zwar begeistert, aber die Eltern oder Gemeinden verständlicherweise überhaupt nicht. Daher fehlen uns im Moment über 20 Volontäre. Das ist ein großes Gebetsanliegen!
Gibt es eine Altersbegrenzung oder könnten auch Ältere dafür eingesetzt werden, die einfach ein Teil ihrer Zeit einbringen wollen? Was sind die Voraussetzungen für einen solchen Einsatz?
Bei Zedakah gibt es auch die Möglichkeit, im Ruhestand mitzuarbeiten, wenn man noch fit genug ist, die 39,5 Stunden/Woche einzubringen und bereit ist, sich in die christliche Glaubens-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit einbinden zu lassen.
Wichtig ist, dass in der Regel ein Einsatz 12 Monate dauert. Das liegt zum einen an den Vorgaben des geregelten Freiwilligendienstes (ADIA) und andererseits an den traumatisierten Heimbewohnern, für die ein ständiger Mitarbeiterwechsel möglichst vermieden werden sollte. Kurzeinsätze sind auf Anfrage auch möglich und für uns aktuell auch eine wichtige Hilfe. Die weiteren Voraussetzungen im Detail siehe www.zedakah.de/mitarbeiter-infos/ .
Die Familien Bayer, die ja beide Häuser in Israel leiten, haben ihren Lebensmittelpunkt dort. Die Kinder sind dort aufgewachsen, zur Schule gegangen, haben freiwillig den Militärdienst absolviert und einen hohen Preis dafür bezahlt. Urija Bayer wurde bei Kämpfen im Gazastreifen 2023 verletzt und überlebte nicht. Wie geht man damit um?
Das ist keine Frage, die sich in wenigen Sätzen beantworten lässt. Als ich Gideon Bayer, den Vater von Urija Bayer, kurz nach seinem Tod danach fragte, sagte er: Trotz allem Schweren fällt dadurch viel „Licht ins Dunkel“, dass wir erleben dürfen, wie viele Israelis Anteil nehmen, wie sie über dem Tod von Urija ins Fragen gekommen sind und wie Gott in den Begegnungen die Herzen öffnet und bewegt“. Wen dies näher interessiert, dem empfehle ich den zum ersten Todestag von Urija im Dezember 2024 veröffentlichten Film (englisch, automatische deutsche Untertitel auf You Tube einstellbar): www.zedakah.de/licht-gottes-film-wuerdigt-urija-an-seinem-todestag/)
Gehen wir zurück nach Deutschland. Das Haus Bethel existiert immer noch und immer noch werden Gäste aufgenommen. Ein Schwerpunkt heute liegt auf Israelseminaren, Tagungen, Infoveranstaltungen. Wie wird das Angebot angenommen?
Wir sind sehr dankbar, dass wir im Jahr 2024 für unser kleines Gästehaus mit über 9600 Übernachtungen einen neuen Rekord an Übernachtungszahlen in der fast 90-jährigen Geschichte haben durften. Wir hören immer wieder sehr dankbar, dass sich viele Gäste „wie zu Hause“ fühlen und gerne wiederkommen. Herzliche Einladung, diese Erfahrung selbst einmal zu machen. Dringend suchen wir auch Verstärkung für unser Mitarbeiter- und FSJ-Team in Maisenbach, um der steigende Belegung auch mit mehr Mitarbeitern begegnen zu können.
Sie sind mit dem IP-Zentrum noch ein Schritt weitergegangen. Was bedeutet IP-Zentrum und welche Aufgabe verbinden Sie damit?
Durch multimediale Bildungs- und Begegnungsprogramme laden wir dazu ein, das Judentum und das Volk Israel in seiner Geschichte und Gegenwart kennenzulernen. In unserem multimedialen iP-Zentrum möchten wir durch den Einsatz verschiedenster Medien sowie innovativer, pädagogischer und spielerischer Methoden und moderner Technik vor allem junge Leute zu einem spannenden Ausflug in das Land Israel und die Welt des Judentums einladen. Eine zentrale Rolle spielt auch die tragische Geschichte des Holocaust.
Die Angebote machen die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens begreif- und erlebbar. Das Ziel ist, vor allem die heranwachsende Generation präventiv und aufklärend gegen den Antisemitismus zu schulen. Der Name iP (israelPerspektive) ist Programm: Schüler- und Gemeindeprogramme, Fachvorträge, Ausstellungen und im Besonderen die Begegnung mit Holocaustüberlebenden vor Ort oder in Israel über Videoübertragung ermöglichen neue israelPerspektiven. Nähere Infos und aktuell buchbare Programme siehe www.israelperspektive.de .
Holocaustüberlebende – auch der zweiten Generation, also die Kinder von Überlebenden sind bei Ihnen zu Gast und halten Vorträge, sind zu Diskussionen bereit. Und mit dem Holocaust endet es nicht. Wir haben den 7.Oktober 2023 erlebt, das schrecklichste Massaker nach dem Holocaust am jüdischen Volk. Sie haben Überlebende zu Gast, die berichten. Lange Zeit hat man gesagt, die Zeitzeugen sterben aus, nun haben wir nach dem 7.10. eine neue Generation an Zeitzeugen. Wie wichtig ist diese Arbeit?
Dies ist ein neues Aufgabenfeld im ursprünglichen Auftrag, den Gott diesem Werk gegeben hat „Tröstet, tröstet mein Volk!“ (Jesaja 40,1). Israel zu trösten ist eine Aufgabe, die uns begleiten wird, bis Jesus wiederkommt. Noch gibt es, wie gesagt, so viele Holocaustüberlebende der 1. Generation, dass wir in Maalot den Erweiterungsbau planen und in Shavei Zion eine Warteliste von über 5 Jahren haben. Aber es ist uns ein Gebetsanliegen zu erkennen, was wir weiterhin für die traumatisierten und überlebenden Opfer seit dem 7. Oktober tun können oder sollen.
Seit dem 7.10.23 erlebt man als Gast bei Ihren Veranstaltungen in Maisenbach, dass diese durch die Polizei geschützt werden müssen, dass Polizeifahrzeuge vor dem Haus stehen. Wie gehen Sie als Organisation mit dieser Bedrohung um? Wieviel an Hass kommt bei Ihnen an?
Wir sind sehr dankbar, dass die Polizei jederzeit für uns da ist und immer aktuell die Lage für unsere Veranstaltungen bewertet und entsprechende Kräfte sendet. Gott sei Dank kam es seit dem 7. Oktober bei unseren Veranstaltungen noch nie zu schlimmeren Vorfällen – wir sind sehr dankbar, dass viele unserer Zedakah-Freunde auch dafür beten! Aber die Prävention ist hier vor allem auch für das Sicherheitsgefühl unserer jüdischen Referenten und Gäste sehr, sehr wichtig!
Mit dem IP-Zentrum erreichen Sie auch Schulklassen. Wie kann man den Kindern und Jugendlichen das Thema Israel nahebringen, damit sich dieser Hass auf Israel, den sie ja auch in den Schulen erleben, auf Schulhöfen, aber auch zum Teil in den Familien, nicht in den Köpfen festsetzt? Wie ist die Zusammenarbeit mit den Lehrern?
Um der von Ihnen beschriebenen Herausforderung zu begegnen, ist das iP-Zentrum entstanden, in dem wir ständig unsere Programme weiterentwickeln oder - so wie finanzielle Mittel und personelle Kapazitäten vorhanden sind - auch neue Programme erstellen. Was die Zusammenarbeit mit Lehrern betrifft sind wir von Herzen dankbar für das www.papierblatt.de – Projekt. In diesem Netzwerk arbeiten wir schon seit über 10 Jahren an Bildungsangeboten zusammen, gerade auch für die Lehrer vor Ort. Aus diesem Projekt heraus und in der Zusammenarbeit mit den Projektpartnern konnte nun auch ganz neu die Wanderausstellung www.holocaust-gezeichnet.de erstellt und am 27. Januar 2025, zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ in Auschwitz zum ersten Mal in einem festlichen Rahmen im Neuen Schloss in Stuttgart eröffnet werden. Diese Wanderausstellung soll Lehrern die Möglichkeit geben, auf ihren Schulhöfen vor Ort dem wachsenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen.
Am 1. Mai findet jedes Jahr der Zedakah-Freundestag statt. Ein volles Zelt mit Gästen, die aus ganz Deutschland anreisen. Wie wichtig ist diese Unterstützung Ihrer Arbeit durch die Christen, die Israel lieben?
Menschlich gesprochen wäre ohne diese Unterstützung der Dienst von Zedakah in Israel nicht möglich, da unsere Arbeit komplett davon, was Gott uns an Spenden und Mitarbeitern aus Deutschland schenkt, abhängig ist. Jeder ist herzlich eingeladen, auch am 1.Mai beim Israel-Freundestag in den Freundeskreis von Zedakah „reinzuschnuppern“ und Teil davon zu werden!
Herr Clesle, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.
Ich bedanke mich herzlich für die Möglichkeit!
Für den Arbeitskreis Israel: Januar 2025 / R.K.
