„Wir begegneten Holocaustüberlebenden und ihren Wohnverhältnissen in Israel, ihrer Einsamkeit und ihrer Armut! Wir wussten, hier sind wir gerufen“
Wilfried Gotter
Interview des Arbeitskreises Israel mit Wilfried Gotter, Geschäftsführer der Sächsischen Israelfreunde
Wir, vom Arbeitskreis Israel, führen seit einigen Jahren Interviews mit Menschen, die etwas für Israel tun oder mit Menschen, die aus Israel stammen und sich für ihr Land einsetzen. Die Sächsischen Israelfreunde setzen sich seit Jahren intensiv für Israel und für dort lebende Holocaustüberlebende ein. Grund genug für uns, Herrn Gotter, Geschäftsführer der Sächsischen Israelfreunde zu bitten, ein wenig aus seiner Arbeit zu berichten.
Herr Gotter, Sie sind der Geschäftsführer der Sächsischen Israelfreunde, einer Organisation, die sich sehr aktiv für Israel und in Israel einsetzt. Wie im Namen schon anklingt, stammen Sie aus der ehemaligen DDR. Diese war ja nun nicht gerade als israelfreundlich bekannt. Im Gegenteil, die ehemalige DDR unterstützte konkret die PLO um Jassir Arafat. Wie haben Sie Israel als Thema in der DDR wahrgenommen?
Israel gehörte in der ehemaligen DDR zu den „Bösen“. Oberterrorist Arafat ging in der DDR ein und aus und betrieb mit Hilfe der Stasi, Ausbildungslager für palästinensische Terroristen. So wurden die Terroristen von München(Olympiaattentat) in der DDR ausgebildet! Wir hatten Gott sei Dank einige Diakone und Pfarrer, die uns von der Bibel her die Israelproblematik nahe brachten. Gott sei es gedankt. Dadurch kamen von Anfang an nicht so viele Fehlinformationen in unsere Köpfe wie es in Deutschland in den meisten Gemeinden egal welcher Kirchengemeinschaft sonst üblich ist.
Wie kommt man dann als DDR-Bürger ganz persönlich zu dem „Thema Israel“?
Biographie prägt immer Theologie: Es war ein Sonntag im Juni 1967, damals war ich noch ein Sänger in dem Kinderchor meiner Heimatkirchengemeinde. An diesem Sonntag sangen wir den „Auszug aus Ägypten“, ein Oratorium von Händel. Als wir nach dem Konzert aus der Kirche kamen standen da viele Polizeiautos. Viel später erst als ich meine Bekehrung zu Jeschuah erlebt hatte, wurde mir klar warum. An diesem Sonntag endetet der 6-Tage Krieg in Israel. Durch dieses Erlebnis war mein Interesse geweckt. Ich begann mich historisch und biblisch mit den Juden zu beschäftigen. Und 1990 als die Mauer gefallen war, ging meine erste Auslandsreise nach Israel.
Der nächste Schritt, eine Organisation zu gründen, die sich um Israel kümmert, die biblischen Bezug zu Israel hat, war sicher nicht leicht. Der aki hat bei seiner Gründung israelfreundliche Strukturen vorgefunden – unter dem Dach der Liebenzeller Mission. Wie war dies bei Ihnen, Ihre Umgebung war ja eher israelfeindlich. Wie finden sich Menschen in der Liebe zu Israel, zu Gottes Volk in einer solchen Umgebung zusammen?
Von Israel zurück war mir innerlich sehr bewusst, dass durch das Ausklammern der Wurzel Israel in der deutschen Christenheit sehr viel im Argen liegt. Jesus war Jude und nicht Deutscher! Nicht wir tragen die Wurzel, sondern die Wurzel trägt uns! Mit anderen Worten: Alles was wir bisher gelebt haben als Christen in diesem Land, muss auf den Prüfstand und wo es nicht um die Wurzel, die wir in der Bibel vor Augen haben, geht, sollte es zu einer Wiederherstellung dessen führen, was Jesus gemeint hatte! (Immer wieder mal Johannes 17 studieren!) Erzählen Sie uns ein bisschen etwas über Ihre Organisation? In den ersten 3 Jahren nach der Wende bereitete ich mit einigen Brüdern eine Ausstellung vor– wir waren damals im ganz neu wiedergegründeten CVJM – Landesverband Sachsen beieinander, „Die EXPO EXODUS 93 vom SINAI nach SACHSEN“ . Der Mittelpunkt dieser Ausstellung war Israel und die Stiftshütte. In 100 Tagen kamen 70.000 Besucher. Dies war sozusagen die Geburtsstunde der sächsischen Israelbewegung. Zirka 30 Israelkreise gründeten sich in ganz Sachsen nach dieser Expo. 1998 als der Staat Israel sein 50 jähriges Bestehen feierte, versuchten wir es mit einer 1. Sächsischen Israelkonferenz in der Lutherkirche Chemnitz. An den 3 Tagen kamen zirka 6.000 Menschen. Völlig verblüfft über so viel Interesse, rieten uns Friedrich Hänssler, Ludwig Schneider und andere, gründet doch einen Verein! So kam es Anfang Dezember 1998 zur Gründung der Sächsischen Israelfreunde.
Sie haben Israel-Konferenzen durchgeführt, d.h. da kamen auch Referenten aus Israel. Wie wurden die Israelis in Ihrem Umfeld aufgenommen. Oder anders ausgedrückt: die Israelis wussten ja mit Sicherheit auch, dass die DDR israelfeindlich war. Gab es da auf beiden Seiten gewisse Unsicherheiten, oder Vorbehalte?
Von 1998 an bis zum Jahre 2016 veranstalteten wir 20. Sächsische Israelkonferenzen und mehrere Regionalkonferenzen und Freundestage. Wir hatten viele Gäste aus Israel, aus der Politik, aus der Orthodoxie und aus ganz Europa, England und Amerika. Im Rückblick können wir dankbar sagen, dass wir es vermitteln konnten, die DDR und ihr Verständnis über Israel ist ein für alle Male Geschichte. Unser Vereinsvorsitzender Lothar Klein konnte als Mitglied der letzten frei gewählten Volkskammer sogar dazu beitragen, dass sich die DDR offiziell in einer Erklärung bei Israel für das Fehlverhalten der vormaligen der DDR entschuldigt hat!
Sie veranstalten Israel-Reisen, einige davon mit einem ganz speziellen Auftrag. Holocaust-Überlebenden zur Seite zu stehen, ihnen Hilfe zu geben. Was muss man sich darunter vorstellen?
„ Ich will segnen die Dich segnen und will verfluchen die dich verfluchen“ (1. Mose 12,3) war der Auslöser für einen weiteren Dienst der 2004 begann. Wir begegneten Holocaustüberleben und ihren Wohnverhältnissen in Israel, ihrer Einsamkeit und ihrer Armut! Wir wussten hier sind wir gerufen und so begannen wir mit dem Handwerkerdienst. Seither kommen jeweils während 9 Monaten an die 25 Handwerker und Helfer nach Israel und verrichten ihren Dienst. Sie renovieren Wohnungen, Schulen, Suppenküchen und Kindergärten, gerade auch für sozial Schwache! In Israel hat sich hier mittlerweile ein richtiges Netzwerk gebildet. Viele von denen man es nicht denken würde, arbeiten zusammen! Es geschieht Versöhnung und vieles mehr! Anfängliche Vorbehalte, dass da Deutsche kommen usw. wurden sehr schnell ausgeräumt! Wir merken wie der Segen des Allmächtigen wirkt! Die anderen Reisen die wir zudem veranstalten sind Bildungs- und Begegnungsreisen zu ganz bestimmten biblischen Themen die über Werner Hartstock und seiner Israelreisebörse laufen!
Wie erfahren Sie von notleidenden Holocaustüberlebenden? Welche Strukturen sind dafür in Israel notwendig?
Um die Holocaustüberlebenden zu finden und zu betreuen ist mittlerweile ein Netzwerk entstanden mit jüdischen Hilfsorganisationen, Sozialarbeitern aus vielen Kommunen, sozialen Einrichtungen, Bürgermeistern und messianischen Gemeinden. So konnten wir mittlerweile mehrere Standorte beziehen und von dort aus den Dienst organisieren! Jerusalem , Sderot, Hadera und Katzrin – in diesen Räumen bekommen wir mittlerweile so viele Anfragen, dass wir nicht alles bearbeiten können.
Wer kann bei diesen Einsätzen mitmachen? Muss man dafür eine Handwerkerausbildung haben oder reicht auch der gute Wille?
Wir haben auch in Deutschland viele Anfragen von Leuten die keine Handwerksberufe haben und versuchen aus dem ganzen „Personalangebot“ das Beste zu machen! Jeder der mitreisen will, muss zunächst erst einmal einen Fragebogen ausfüllen ( www.zum-leben.de). Immer Ende August des laufenden Jahres setzen wir die Reisetermine für das Folgejahr auf unsere Homepage und dann stellt ein Dreierteam für die kommende Zeit die Gruppen zusammen! Wir beten auch darum, dass der Allmächtige die richtigen Leute zusammenstellen möge. Der finanzielle Einsatz für die 14 Tage beträgt 950€. Alle Unkosten, Flug, Unterkunft, Verpflegung, Transfers und auch ein Urlaubswochenende sind in diesem Preis enthalten. Nach dem was unsere Mitarbeiter vor Ort herausfinden, setzen wir dann bei den Mitarbeitenden die Gewerke fest. Für nicht Handwerker gilt: Malern können die meisten und zum Putzen und Kochen wird auch immer jemand gebraucht. Um dies alles herauszufinden gibt es dann meist im Januar ein Aussendungstag für alle die im dann laufenden Jahr mitfahren möchten. Die Teams können sich schon vorab kennenlernen und es gibt von uns eine Einführung. Die Mitfahrenden lernen ihren Teamleiter kennen und der Dienst kann beginnen!
Wie geht es weiter mit den sächsischen Israelfreunden, was sind Ihre Pläne? In ein paar Jahren, vielleicht 10-15 Jahren, wird es kaum noch Überlebende des Holocaustes geben. Gibt es Überlegungen zu weiteren Hilfen, z.B. für Behinderte, für Terroropfer usw?
Nach den Prognosen, die wir vom Israelischen Sozialministerium haben, rechnet man damit dass bis zum Jahre 2025 die Zahl der Holocaustüberlebenden der 1. Generation nur noch sehr gering sein wird. Die Frage bleibt jedoch, was ist mit der 2. Generation, was ist mit den vielen sozial Schwachen die auch in Israel dem kapitalistischen System geopfert werden? Überall wo wir Gespräche mit „Offiziellen“ haben, drängen wir darauf, dass man doch in Israel eine Handwerkerausbildung einführen möge – vielleicht sogar nach deutschem Vorbild! Es gibt viele junge Juden aus Äthiopien und anderen Ländern die bekämen durch solch eine Ausbildung eine Perspektive und eine Zukunft. Manch ein Handwerksmeister aus Sachsen und Deutschland würde hier gern sein Wissen und Können weitergeben. Abschließend: Möge der Herr bald wiederkommen damit alle Arbeit ein Ende hat!
Wir danken für das Interview und wünschen Ihnen weiterhin viel Kraft und Gottes Segen für diese so wichtige Aufgabe. Für den Arbeitskreis Israel: Mai 2019/RK