
„Mir wäre nicht an einer gewogenen sondern an einer ausgewogenen Berichterstattung gelegen, einer Berichterstattung, die die wirklichen Probleme und Beweggründe herausarbeiten kann“.
Michael Schönmann
Lieber Herr Schönmann, danke dass Sie Zeit für uns haben. Wir vom Arbeitskreis Israel haben unter der Rubrik „Nachgefragt“ eine Untergruppe mit „Nachgefragt - Leute“. Hier sollen Menschen zu Wort kommen, die in Israel oder den Palästinensergebieten leben oder die sich auf irgendeine Art für Israel und die Menschen dort engagieren. Sie sind Israeli, leben in Israel. Sie leben in Maale Adumim, einer Siedlung in unmittelbarer Nachbarschaft zu Jerusalem. Würden Sie uns ein bisschen etwas über sich erzählen?
Ich bin in Haifa geboren und in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Nach Abschluss meines Studiums schwang ich mich auf mein Fahrrad und fuhr damit bis nach Athen, von dort aus ging es mit der Fähre zurück zu meinem Geburtsort. Nicht nur um mich in Selbstständigkeit zu üben, sondern auch um die wirkliche Entfernung zu er-fahren.
Ich ließ mich dort nieder wo ich Arbeit fand – in Jerusalem. Von dort ist es nicht weit bis nach Maale Adumim. Seit 1997 lebe ich in dieser Stadt. Vor vier Jahren begann ich über die Stadtverwaltung deutschsprachigen Reisegruppen unsere Stadt zu zeigen. Vor fünf Jahren wurde ich im Forum einer deutschen Online-Zeitung aktiv, nachdem ich sah, wie groß einerseits das Interesse am Israelisch-Palästinensischen Konflikt ist und wie gering andererseits das Wissen darüber. Das Forum ist für mich ein Fundus für Vorwürfe und Argumentationen aller Art. Es regt mich dazu an, meinem Standpunkt zu den aufgeworfenen Fragen auszuformulieren. Die Ergebnisse dieses Prozesses erscheinen dann als Beiträge in meinem Blog.
Die Fragen, die uns bewegen sind natürlich, wie lebt es sich in Israel, aber auch wie lebt es sich in dem Spannungsfeld Israel-Autonomiegebiete, uns interessieren ein paar aktuelle Fragen, aber – und dies verzeihen Sie uns bitte – wir möchten auch ein paar Fragen weitergeben, die hier in Deutschland immer wieder durch die Medien geistern und nicht selten Hass schüren.
Herr Schönmann, Sie sind in Deutschland aufgewachsen, sind hier zur Schule gegangen, haben studiert. Heißt, Ihre Familie war/ist in Deutschland zu Hause, stammt aus Deutschland?
Vom Kindergarten bis zum Studienabschluss war ich in Deutschland, 26 Jahre lang, davor und danach in Israel. Die Großeltern der einen Seite kamen 1934 aus Deutschland, die der anderen Seite hatten mit dem Land überhaupt nichts zu tun. Die ersteren gingen in den Fünfziger-Jahren zurück nach Deutschland und meine Eltern folgten ihnen einige Jahre später um zu lernen und sich beruflich weiterzuentwickeln. Sie sind bis heute dort.
Warum dann der Umzug nach Israel?
Diese Frage unterstellt ein ja auf die erste Frage, die Realität ist aber, wie gesagt, komplexer. Wäre ich in Deutschland geblieben hätte ich heute dort nur meine Eltern, denn die meisten Verwandten wohnen hier in Israel.
Ich habe meine Identität, dass ich in Israel geborener Jude bin, meinem näheren Bekanntenkreis nicht verheimlicht. Man wird dann natürlich allerlei gefragt und das ist ganz in Ordnung so. Ich wollte eine Bezugsgruppe von einigen jungen Juden haben mit denen man sich ab und zu beratschlagen kann, was die an einen herangetragenen Fragen angeht. Es gab aber zu der Zeit einfach nicht genug junge Juden in meiner Umgebung, um darunter ein paar zu finden, die mein Interesse teilten.
Ich wollte mich nicht anpassen, sondern mich integrieren. Was meine ich damit? Ich sehe mich als Glied in einer Kette von Menschen die ihr Judentum gewahrt haben und so eine klare Identität hatten. Diese klare Identität wollte ich meinen Kindern weitergeben und dazu braucht es eine jüdische Frau. Eine solche hätte ich in Deutschland trotz des seinerzeit sehr knappen Angebots in den 90ger-Jahren schon finden können, aber ich hätte immer mit dem Gefühl gelebt einen Kompromiss gemacht zu haben.
Und so stellte sich mir die Frage was besser sei: eine sichere Zukunft in Deutschland, fern der Verwandten, ein Leben in dem ständigen Streben ein gern gesehener Gast zu bleiben oder eine ungewisse Zukunft in Israel, umgeben von vielen Verwandten, ohne dabei allzu sehr an Identität, Integration oder Assimilation und Partnersuche denken zu müssen. Was sich hier so klar und deutlich liest war allerdings das Ergebnis eines langen und, nicht nur für mich, schmerzhaften Prozesses der Selbstfindung.
Heute denke ich, dass, solange es im Gelobten Land die Möglichkeit gibt, als Jude selbstverwaltet zu leben, man die historische Gelegenheit nutzen und dabei sein sollte. Andere haben andere Wege eingeschlagen weil sie andere Prioritäten haben.
Sie sind in ein Land zurück, das viel fordert. 3 Jahre Militärdienst, dann jährliche Reservedienste. Sie haben Kriege erlebt, mit dem Libanon, in Gaza. Denken Sie nicht manchmal in dem beschaulichen, friedlichen Deutschland hätte ich es einfacher?
Während des Libanonkrieges war ich noch in Deutschland. Als ich nach Israel zurückkam war ich 30 Jahre alt. Da es zu der Zeit genügend starke Jahrgänge gab, hatte das Militär kein Interesse an mir. Miterlebt habe ich die zweite Intifada und die letzten drei Aktionen im Gazastreifen. Die Intifada war eine mehrjährige Anschlagsserie mit räumlich begrenzten Gegenmaßnahmen in palästinensischen Städten. Da konnte man nur darauf hoffen nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Bei der letzten Aktion im Gazastreifen haben bei uns viermal die Sirenen geheult. Man geht dann für 10 Minuten in den wohnungsinternen Schutzraum der bei uns als Arbeitsraum fungiert und schließt die Stahltür. Einmal hat es mich auch bei Ikea an der Kasse erwischt. Man folgt mit den anderen Kunden der Kassiererin zum Schutzraum und wartet zusammen die 10 Minuten ab, um dann zurück zur Kasse zu gehen und weiterzumachen. Nein, keine Panik, nicht mal Gedränge wie beim Einkauf am Freitag im Supermarkt.
Hätte ich es im beschaulichen, friedlichen Deutschland wirklich einfacher? Würden die Arbeitskollegen nicht ständig von mir verlangen die Handlungsweise Israels zu erklären und dann abwinken, wenn es kompliziert wird? Ich glaube schon, denn ich kann mich noch an ebendiese Reaktionen erinnern als ich während des Libanonkrieges in meiner Studienzeit versuchte, die gegenläufigen Interessen der Drusen, Sunniten, Christen, Schiiten und Israelis darzulegen. Ich frage mich dann auch wie es heute meinen Töchtern in der Schule ergehen würde, wenn sie ihr Jüdischsein und den Bezug zu Israel nicht verheimlichen wollten.
Sie haben Kinder, die ebenfalls zum Militär müssen, die Kriege hören nicht auf, man hat den Eindruck, sie werden von Mal zu Mal schlimmer, intensiver. Wie geht man mit der Angst um, seine Kinder in dieser Gefahr zu wissen? Wie geht man damit um, zu wissen, dass die eigenen Kinder vielleicht wie Gilad Schalit, in die Gefangenschaft einer Terrorgruppe geraten könnten? Kann man diese Gefahr ausblenden?
Ich glaube nicht, dass die Kriege schlimmer werden – Kriege sind immer schlimm.
Zwar werden Waffen mit der Zeit immer effizienter, aber die Bevölkerungsdichte steigt auch ständig und somit die Zahl der Opfer. Militärdienst ist nicht nur bis an die Zähne bewaffnete Juden die sich gegen hasserfüllte Araber zur Wehr setzen, sondern auch Bürojobs – weit weg von den Gefahrenzonen. Nur wer männlich ist, ein hohes Profil hat (Index für den Gesundheitszustand) und weder in Physik, Arabisch noch im Programmieren Talent hat könnte sich dort wiederfinden wo es gefährlich ist – und ich habe nur Töchter.
Im Sommer 2014 starben 3 jüdische Jugendliche, ermordet durch die Hand von Terroristen, 18 Tage Ungewissheit. Wie zehrt dies an den Nerven eines Israeli?
Der Notruf eines der Entführten bei der Polizei wurde einige Tage nach der Entführung in den Nachrichten gesendet. Dort waren 10 Schüsse zu hören. Viele haben für ein gutes Ende gebetet, wenige haben sich Hoffnungen gemacht.
Danach kam die Entführung und Ermordung des arabischen Jugendlichen. Für die Medien in Deutschland waren die Schuldigen schnell ausgemacht. Die Siedler waren es. Was haben Sie gehofft? Nur keiner von uns?
Die Fragestellung unterstellt, dass alle Siedler eine homogene Masse sind. Sie sind es aber nicht. In den Medien werden nur die nationalreligiösen, ideologischen Siedler gezeigt, weil sie so schön in die vorgefasste Erklärungsschablone eben dieser Medien passen. Die finden sich aber nur in den kleinen Siedlungen, irgendwo "tief drin" oder in und bei Hebron. 80% sind ganz normale Israelis, die in fünf Siedlungsblöcken, logischerweise nahe bei den Ballungsräumen Tel-Aviv und Jerusalem, leben. Die sind sich oft ihres Siedlerseins gar nicht mal bewusst.
Ich habe gehofft, dass der Mörder von Mohammed Abu-Chdeir gefasst wird und seine Strafe bekommt. Mittlerweile läuft die Gerichtsverhandlung gegen Herrn Ben-David und ich hoffe er bekommt lebenslänglich.
In Jerusalem herrscht seit Monaten die sog. Stille Intifada. Krawalle von arabischen Jugendlichen, Angriffe auf der Straße, auf die Straßenbahn, Autoangriffe. Dann der Mord in der Synagoge, der Mordversuch an Jehuda Glick. Wie geht man damit um?
Die Stille Intifada ist nicht still, sondern anders als die vorigen. Die Attentäter sind keine Aktivisten von Terrororganisationen, sondern "einsame Wölfe" – das sind Menschen denen irgendwann plötzlich die Sicherung durchbrennt, die von verletztem Stolz und wahrscheinlich auch von der passenden Propaganda getrieben, plötzlich das Gaspedal durchtreten, um aus ihrem Auto eine Waffe zu machen mit der man Juden tötet. Wie man damit umgeht? Wenn man an einer Haltestelle steht, stellt man sich hinter das Wartehäuschen und nicht davor.
Die Krawalle muss man richtig "lesen" können. Es ist nicht so, dass sich die arabischen Jugendlichen Jerusalems plötzlich irgendwo in der Stadt versammeln um Randale zu machen. Die Krawalle finden immer in den arabischen Stadtteilen statt und meist in Shuafat, dort wo Mohammed Abu-Chdeir lebte bis er entführt und ermordet wurde. Durch diesen Stadtteil fährt die Straßenbahn auf ihrem Weg nach Pisgat Seev, dem benachbarten jüdischen Stadtteil. Nach der letzten Haltestelle in Shuafat sitzen also nur Juden in der Straßenbahn. Die Haltestellen sind videoüberwacht. Wenn sich also wieder mal ein Krawall anbahnt, fährt die Straßenbahn nicht bis Shuafat und die Fahrgäste von und nach Pisgat Seev fahren mit Bussen auf einer außerhalb von Shuafat verlaufenden Parallelstraße.
Auf den Mordversuch an Jehuda Glick und die Morde in der Synagoge kann man nur mit noch mehr Sicherheitskräften und schärferen Kontrollen antworten. Das liefert dann auch wieder "Munition" für die "gutmenschigen", -pro-palästinensischen NGOs.
Mörder werden als Märtyrer gefeiert. Ihre Familien erhalten Kondolenzbriefe ihres Präsidenten. Dann der Aufruf die Al-Aksa-Moschee zu verteidigen und zwar mit allen Mitteln – notfalls mit Gewalt. Und alles von einem Präsidenten, der in der westlichen Welt als „Friedensengel“ hochgejubelt wird. Was löst dies in Ihnen aus?
Palästinensische Politiker denken erstmal an sich selbst, dann an ihre Familie und erst zum Schluss an das Wohl ihrer Allgemeinheit. Der Tempelberg mit der Al-Aksa-Moschee ist als Heiliger Ort leicht und bequem zur Mobilisierung der gesamten arabischen Welt nutzbar.
Nach der zweiten Intifada begannen die "Friedensengel" einen Propagandakrieg der sich auf die westliche "der-schwächere-wird-wohl-Recht-haben" Doktrin der Aufgeklärten stützte. Propaganda vereinfacht, übertreibt – und wo das nicht ausreicht wird einfach verdreht. Später dazu ein Beispiel. Ich bewahre mir in Folge eine palästinenserkritische Haltung.
Leider hört man kaum eine Gegenstimme denn in Israel hat sich eine "wir-können-uns-nur-auf-uns-selber-verlassen" Doktrin in den letzten 100 Jahren herangebildet. Sie wurzelt in der Aussage des Rabbi Hillel im Talmud, der da sagt: wenn ich nicht für mich selber sorge – wer dann? Sie führt dazu, dass die Darstellung der eigenen Position auf der Weltbühne krass unterbewertet wird.
Was wirklich verbittert ist die Oberflächlichkeit der westlichen Medien. Israel steht nach den USA und Russland an dritter Stelle was die weltweite Korrespondentendichte angeht. Es gibt eine ganze Menge anderer Konflikte in unserer Zeit. Aber keinen der über so lange Zeit so viel Interesse auf sich zieht. Ich frage mich oft warum das so ist. Ist es die bequeme Nähe von nur 4 Flugstunden, gepaart mit einer modernen Infrastruktur, Pressefreiheit und den schicken Strand Cafés von Tel Aviv die ein bequemes Berichten ermöglicht? Oder etwa, dass die Enkel von hilflosen Opfern nun als trainierte, gutgerüstete, kampferprobte Soldaten vor der Kulisse heiliger Stätten auftreten? Ich nehme an, alles zusammen ergibt eine für die Medien unwiderstehliche Mischung.
Und wer sind die Berichterstatter? Es sind meist junge Leute, die meinen sie würden, weil sie aus einem fortschrittlichen und aufgeklärten Land kommen, die richtigen Wertmaßstäbe gleich mitbringen. Aus einer komplexen Realität muss eine stimmige Geschichte werden. Also sieht man immer nur Bilder, entweder von schwerbewaffneten israelischen Soldaten oder von diesen seltsamen Religiösen, in die man alles Mögliche hineininterpretieren kann. Wer kennt das Judentum schon wirklich? Die Beiträge sind dann meist Aufgüsse der Schablone in der der Starke (Israeli) den Schwachen (Palästinenser) unterdrückt. Der stimmigen Geschichte und den ergreifenden Bildern zuliebe, bleibt eine Überlegung dabei auf der Strecke: dass der Schwache nicht immer Recht haben muss. Ein Gedanke der sich schon im Alten Testament findet.
Mir wäre nicht an einer gewogenen, sondern an einer ausgewogenen Berichterstattung gelegen, einer Berichterstattung, die die wirklichen Probleme und Beweggründe herausarbeiten kann. Nicht junge Korrespondenten die ein paar Reiseführer gelesen haben, sondern solche die hebräisch und arabisch verstehen, damit man ihnen nichts vormachen kann. Zu viel verlangt? Als aufgeklärter Mensch sollte man in der Lage sein sich ein eigenes Bild zu machen. Wenn man dazu auf lokale Übersetzer und Vermittler angewiesen ist, wie soll dann die Objektivität gewahrt bleiben?
Eine Begleiterscheinung des Gazakrieges waren die Demonstrationen in Europa, und weltweit. In Paris wurde beinahe eine Synagoge, mit 200 Menschen darin, angezündet. In Deutschland stellte die Polizei Lautsprecher zur Deeskalation zur Verfügung. Die Deeskalation hieß dann „Juden ins Gas“ und „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“. In Deutschland, dem Land in dem die Schoah ihren Anfang nahm, besonders bitter. Sie haben viele Jahre in Deutschland gelebt, welche Erinnerungen kommen da hoch?
Außer dem einen Mal, als ich in den Semesterferien gejobbt habe und die Installateure Judenwitze erzählten, ohne zu wissen, dass ich einer bin, nicht viel. Dies ist aber nicht der Punkt. Ich kann mich noch an die 80-ger Jahre erinnern, in denen sich Israel in der ihm entgegengebrachten Sympathie sonnte. Dann kippte plötzlich alles um. Meine Erklärung ist, dass bis zur ersten Intifada Israel als kleines, westliches, von feindseligen Nachbarn umgebenes Land gesehen wurde. Danach stellte man plötzlich fest, dass es innerhalb des kleinen Landes eine noch kleinere, bedrängte Gruppe gibt. Da man immer auf der "richtigen" Seite stehen will, stellte man sich also auf die Seite der Palästinenser. Was folgt daraus? - dass man sich immer auf die Seite des Schwächeren stellt weil man damit meistens richtig liegt und das auch gut aussieht. Nur – Israel bleibt ein kleines, von problematischen Nachbarn umgebenes Land.
Die Gazakriege. In den westlichen Medien finden sich nur Angaben zu den Opferzahlen der Palästinenser, nicht jedoch, wie viele davon Hamas oder sonstige Kämpfer waren. Laut IDF waren es etwa 700, also rund ein Drittel. Die Bezeichnung Krieg finde ich unpassend, denn trotz der zahlreichen Opfer handelte es sich um eine Aktion mit einem klar umrissenen Ziel. Es ging darum, Offensivtunnel, die unter der Absperranlage nach Israel führten, zu finden und zu zerstören. So wurde z.B. das Zentrum von Gaza-Stadt nicht angegriffen. Eine Organisation – die Hamas - verschanzt sich dagegen hinter der Zivilbevölkerung, anstatt als regierende Macht für das Wohl ihrer Allgemeinheit zu sorgen. Offensichtlich kann man sich ein solches Verhalten im schönen Europa nicht vorstellen. Viel einfacher ist es da auf die bequeme "der-Schwächere-wird-wohl-recht-haben" Doktrin zu bauen.
So werden die Starken von heute als die Schwachen von einst dargestellt, die angeblich nichts dazugelernt haben. Wenn dies dann noch mit der taktlosen Aussage kombiniert wird: "Wir haben aber aus dem Zweiten Weltkrieg die richtigen Schlüsse gezogen: Gewalt ist schlecht – alles muss mit Vernunft geregelt werden". Wenn ausgerechnet Deutsche dies tun, dann bekommt es den schlechten Beigeschmack der Schuldabwehr.
Jene, die da in selbstbewusster, angeblicher Aufgeklärtheit laut schreien und meinen Vorgänge in einem anderen Kulturkreis eindeutig anhand von Fernsehbildern in den Abendnachrichten beurteilen zu können, sollten sich entscheiden zwischen Zurückhaltung, in dem Bewusstsein, dass es schwierig ist aus der Ferne zu beurteilen und der Bereitschaft sich unvoreingenommen in die Problematik zu vertiefen.
In Frankreich gab es im Januar 2015 einen Anschlag auf Charlie Hebdo und fast gleichzeitig wurden in einem jüdischen Supermarkt Menschen getötet. Netanjahu rief die jüdische Bevölkerung Frankreichs zur Alija auf. Dann kam der Anschlag in Kopenhagen. Wieder starb ein jüdischer Mitbürger. Weiter Angriffe auf Israelis in Berlin. Auf die Frage nach der Herkunft sagen junge Israelis in Deutschland inzwischen lieber, dass sie aus Amerika, Australien, Neuseeland stammen. Nur nicht Israel. Der Zentralrat der Juden in Deutschland knickt ein und empfiehlt nicht mehr mit der Kippa durch die Straßen zu laufen. Wie kommt all das in Israel an?
Diese Vorfälle haben schon viel Interesse erregt, aber wohl kaum jemanden dazu gebracht, seine Einstellung zu ändern, denn sie werden als Teile eines großen Bildes gesehen, geeignet das „wir-können-uns-nur-auf-uns-selber-verlassen“ Gefühl zu bestärken. Man weiß hier im Land ja sowieso, dass alle gegen uns sind.
Überraschend vielleicht, aber Deutschland ist als Reiseziel trotzdem in Israel populär. Wahrscheinlich weil es hier einiges gibt was in Israel fehlt: Ruhe, Ordnung und ein reichhaltiges Angebot in den schicken Geschäften der Innenstädte.
Zur Alija kann ich nur jenen raten, die die Sprache beherrschen, im Land einige Freunde oder/und Verwandte haben und keine falschen Erwartungen haben was Lebensstandard und -stil angeht.
Was die Frage nach der Herkunft betrifft: Ich glaube ein großer Teil verbirgt die Wahrheit weil Israel in den letzten Jahren sehr unpopulär geworden ist. Langsam, ganz langsam kommt man im Land zu der Erkenntnis, dass in der Angelegenheit etwas getan werden muss. Schon zu meiner Studienzeit allerdings, vor 25 Jahren, traute sich der Vorsänger in der Stuttgarter Synagoge nicht mit einer Kippa auf die Straße – er trug einen weiten Hut darüber.
Sie leben heute in Maale Adumim, einer Siedlung. Was bewegt einen Israeli in eine Siedlung zu ziehen? Und können Sie uns ein bisschen etwas über die Entstehung von Maale Adumim erzählen?
Leider wirkt sich die Heiligkeit Jerusalems auf die Wohnungspreise aus. Maale bietet als ruhige, moderne Vorstadt, eine ansprechende Umgebung um bei erschwinglichen Wohnungspreisen Kinder in einer passenden Umgebung großziehen zu können.
Nach dem 6-Tage Krieg 1967 fühlte man sich als Israeli unbesiegbar. Das änderte sich allerdings nach dem fast verlorenen Yom-Kippur Krieg von 1973. Erst jetzt bildeten sich private Initiativen, um das Westjordanland zu besiedeln und so Israel und vor allem Jerusalem besser zu sichern. Die linke Regierung erlaubte die Errichtung eines Industriegebietes unten in der Ebene. Auf einem kleinen, nahegelegenen Hügel durften einige Fertighäuser für die Arbeiter errichtet werden. 1977 kam mit der erstmaligen Wahl des Likud die Wende. Der Aspekt der Sicherung wurde nun von der Regierung geteilt. Höher gelegen, weil klimatisch günstiger, wurde eine Stadt auf dem Reißbrett geplant. 1982 wurden die ersten Wohnungen bezogen und nach einem anhaltend rasantem Wachstum hat die Stadt heute über 40.000 Einwohner einschließlich Einkaufszentrum, Bücherei und Konservatorium.
Nun kommen wir noch zu ein paar „bösen Fragen“. Die Fragen, die in Deutschland bei den Stammtischen diskutiert werden, heiße Diskussionen an den Arbeitsplätzen oder in den Bussen und Straßenbahnen auslösen und nicht selten zu Hunderten von Kommentaren bei den Online-Zeitungen führen:
Die Siedlungen sind das Haupthindernis für Frieden hier im Land, behaupten Politiker und die Medien weltweit. In den Kommentarbereichen von Online-Zeitungen finden sich hasserfüllte Kommentare. Sind die Siedlungen das Haupthindernis für den Frieden?
Ja und nein, es kommt darauf an… Ja, je mehr Siedlungen auf das Gebiet verteilt existieren, desto schwieriger wird es, einen zusammenhängenden Palästinenserstaat zu schaffen. Sind die Siedlungen aber aus rein zionistischer Bosheit, vermischt mit spätkolonialistischer Ideologie entstanden? Was für Maale Adumim galt, trifft auch auf die anderen Siedlungen zu – sie wurden zur Sicherung durch Präsenz geschaffen. Die Bezeichnung Siedlungen gibt eigentlich nichts her. Sie bedient nur die Interessen der palästinensischen Propaganda und soll dazu führen, dass 560.000 Juden umziehen müssten. Besser ist es sich erstmal bewusst zu sein, dass es nur um die Zone C geht, und hier ist zwischen den 5 Siedlungsblöcken und dem Rest zu unterscheiden. 80% der Juden im WJL leben in diesen Siedlungsblöcken, die etwa 200 Km² Fläche der insgesamt 5.640 Km² des Westjordanlandes einnehmen. Eigentlich sind es Gebiete die sich durch die natürliche Entwicklung der Ballungsräume von Tel Aviv und Jerusalem gebildet haben. Und bis auf den Siedlungsblock von Ariel liegen alle an der Grünen Linie, der von Ariel liegt 18 Km von der Grünen Linie entfernt. Schon bei der Clinton-Roadmap war von einem Verbleib der Siedlungsblöcke in israelischer Hand die Rede, gegen Gebietstausch. So bleiben also rund 100.000 Israelis auf etwa .2800 Km² verteilt – immer noch ein großes Problem, aber nicht das einzige. Selbst wenn es wirklich geräumt werden sollte, bleibt immer noch die Frage, wie dem israelischen Sicherheitsbelangen in dem kleinen Gebiet Genüge getan werden kann. Und noch einige andere Fragen bleiben offen: Soll Jerusalem aufgeteilt werden? Was ist mit dem von den Palästinensern geforderten Rückkehrrecht für die Enkel?
E1 – Ein Bauprojekt bei Maale Adumim. Schon lange nichts mehr von dem Projekt gehört. Stattdessen baut die EU illegale Häuser für die Beduinen. Wie ist der aktuelle Stand?
E1 ist etwa 20 Km² groß und wurde 1991 von der Rabin Regierung per Regierungsdekret dem Stadtgebiet von Maale zugeschlagen. Hier waren eine Stadterweiterung mit 3.500 Wohneinheiten, Hotels und einem Gewerbegebiet geplant. Letzteres sollte direkt neben dem benachbarten palästinensischen Ort A-Zaim entstehen, um so Israelis und Palästinensern Arbeitsplätze zu bieten. Doch bisher wurde nur 2002 eine Kaserne des Grenzschutzes und 2008 das Polizeihauptquartier für das Westjordanland dort erbaut.
E1 ist eigentlich zu einem Polit - Krimi avanciert. Eine Straße, die Jerusalem mit Jericho, der Jordansenke und dem Toten Meer verbindet, führt an Maale Adumim vorbei und um E1 herum. Diese West – Ost Achse ist für Israel von strategischer Wichtigkeit. Den Palästinensern ist die Verbindung von Samaria im Norden mit Judäa im Süden wichtig. Hier, bei diesem E1 genannten Hügel, treffen sich die beiden Interessensachsen.
Die Palästinenser behaupten, dass der Bau eines neuen Stadtteils in diesem Areal, welches aus einem Hügel mit seinen Ausläufern besteht, das Westjordanland endgültig in zwei Teile zerschneiden würde und die 2-Staaten Lösung somit verunmöglichen würde, auch weil Maale nun mit dem derzeit 7 Km entfernten Jerusalem verbunden wäre.
Aber: zum einen ist die direkte Verbindung mit Jerusalem unmöglich, weil die palästinensischen Orte A-Zaim, Issawiah und Shuafat dazwischenliegen. Zum anderen bleiben östlich von E1 immer noch etwa 15 Km bis zur Jordansenke offen. Weil das Terrain stark zerklüftet ist, wäre der Bau einer Nord–Süd Verbindungsstraße für die Palästinenser ziemlich aufwändig, ist aber eigentlich gar nicht nötig, da eine solche Verbindungsstraße schon trassiert wurde. 2007 begann die israelische Regierung mit dem Bau dieser Straße eigens für Palästinenser. Sie sollte Betlehem über Ost-Jerusalem mit Ramallah verbinden. Man kann vom Stadteingang nach Maale Adumim sehen, wie sie sich von Azaria runter ins Tal windet, dann rüber zu einer Anschlussstelle führt, wo eine Unterführung unter der israelischen Schnellstraße nach Jerusalem durchführt. Von da aus soll es um A-Zaim herum über Anata und Hisme in Richtung Ramallah gehen. Es scheint die Palästinenser wollen die Anbindung dieser Straße nicht, weil sie befürchten es könne ihre Behauptung schwächen, dass der Bau von E1 das Westjordanland zerteilen würde.
In dieser Schlacht um die Dominanz der Entwicklungsachsen zeigt sich seit 2012 eine völlig neue und unerwartete Allianz: Die EU und die Jahalin Beduinen. Letztere sind ein wunderschönes Beispiel dafür wie in diesem Konflikt die Tatsachen bis zur Absurdität verzerrt werden. Gibt man beim Google "Jahalin, NGO" ein, bekommt man etwa 12.600 Suchergebnisse. Etwa 30 NGOs und ein israelischer Rechtsanwalt (letzterer gegen Bezahlung) stellen sich schützend vor die Beduinen, die der Welt als wehrlose Eingeborene präsentiert werden. Sie sind es aber nicht. Dieser Beduinenstamm kam 1948, aus dem Negev vertrieben, über Jordanien hierher. Während sie vorher nur im Sommer von Jericho heraufkamen, um ihre Schaf- und Ziegenherden hier zu weiden, haben sie sich, seit es die Wasserleitung nach Maale Adumim gibt, auf Dauer niederlassen können und sich prächtig entwickelt. Längst sind die traditionellen Zelte Holz und Blechhütten gewichen, die auf den Hügeln und in den Tälern locker verteilt in kleinen Gruppen zusammenstehen. 12.000 Menschen leben so auf etwa 30 Camps verteilt. Da beduinische Männer mehrere Frauen heiraten können, sind sie Weltmeister was die Wachstumsrate angeht – sie liegt bei ihnen bei 5,5%. Das bedeutet eine Verdoppelung jeweils innerhalb von 14 Jahren. Aus 209 Hütten im Jahre 2003 sind in 11 Jahren 774 Hütten geworden. 181 Behausungen und 232 Schuppen wurden von der EU finanziert. Diese Bauten bestehen aus Paneelen, die einen Aufbau innerhalb von Stunden erlauben. Da es sich um ungenehmigte Bauten handelt, kommt ein EU Aufkleber drauf, der ihnen diplomatische Immunität verleihen soll. So wird eigentlich eine Anarchie geschaffen in der Bausünden nicht geahndet werden können.
2014 hat die EU 11 Mill. Euro allein für die Beduinen in Zone C investiert.
Erst Dank einer israelischen Wasserleitung konnten die Beduinen in diesem Gebiet überhaupt ansässig werden und nun werden sie von NGOs und der EU als Ureinwohner dargestellt und auch benutzt, um Tatsachen vor Ort zu schaffen.
Siedler sind verschrien, gewalttätig zu sein, das Eigentum der Palästinenser zu zerstören, ständig schwerbewaffnet durch die Gegend zu laufen, immer die Hand am Abzug zu haben. Tragen Sie eine Waffe bei sich, wenn Sie aus dem Haus gehen?
Ja, es gibt Siedler die genau in diese Schublade passen. Es gibt so viele verschiedene Gruppierungen im Land, dass die Berichterstatter aus dem Ausland immer genau jene finden können, die sie gerade suchen. Das reicht aber nicht für seriöse Berichterstattung – man muss auch einordnen können. Und so sind es nur einige hundert nationalreligiöse Jugendliche die durch ihre Rabbiner zu Untaten angetrieben werden. Dann sind natürlich auch sofort die Kameras der Medien zur Stelle. Hunderttausende Pendler, die jeden Morgen zur Arbeit fahren und abends zurück, geben medial nichts her.
Nein, ich trage keine Waffe und habe auch keinen Waffenschein.
Nächster Vorwurf, der immer wieder kommt. Siedler sind religiöse Spinner, gründen ihren Anspruch auf ein uraltes „Märchenbuch“. Sind alle Siedler religiös?
Nein, die meisten Israelis, die jenseits der Grünen Linie wohnen sind Säkulare und Orthodoxe, die wegen der günstigeren Wohnungspreise kommen. Auch hier muss man, um zu verstehen, nach Siedlungsblöcken und dem Rest aufteilen. In dem Rest finden sich die Nationalreligiösen, die wirklich aus ideologischen Gründen nach Judäa und Samaria kommen. Sie tun es wegen dem historischen Paradox. Dieses Gebiet ist eigentlich das biblische Kernland. Die meisten Vorkommnisse, die im Alten Testament beschrieben sind, fanden hier statt und die Lage der Orte ist genau genug beschrieben. So mag mancher an ihre Neugründung denken
Zum Abschluss noch ein paar Fragen zu den Palästinensern selbst und dem Bezug zu Siedlungen. Siedlungen bieten Arbeitsplätze für Palästinenser. Wie viele Palästinenser arbeiten in Maale Adumim und in welchem Sektor? Wie sieht es nach dem Standortwechsel von Soda Stream aus?
Dazu, auf meine Anfrage hin, die Stellungnahme der Stadtverwaltung:
"Die Stadtverwaltung beschäftigt 70 Jahalin Beduinen in den Sektoren Gartenbau und Strassenreinigung. Im Industriegebiet Mischor Adumim finden 2.000 Palästinenser Beschäftigung. Die Firma "Soda Stream" zieht in den Negev um, der auch als staatlich subventionierter Standort gilt."
500 Palästinenser, 450 arabische und 350 jüdische Israelis werden sich dann allerdings einen neuen Arbeitsplatz suchen müssen.
Vor ein paar Monaten wurde in Maale Adumim ein Supermarkt Schauplatz eines Anschlages. Ein Palästinenser stach auf zwei Israelis ein, bevor er überwältigt werden konnte, den Terror wieder so nahe an der Haustüre. Wie empfindet man dies?
Es war ein 16-Jähriger aus dem benachbarten Azaria der in Begleitung seiner Mutter in den Supermarkt kam. Gäbe es kaum oder keine Anschläge würden wahrscheinlich viele diesen Supermarkt danach meiden – obwohl die Wahrscheinlichkeit dass ausgerechnet dort wieder ein Anschlag passiert, statistisch sehr gering ist.
Bei uns tickt man aber anders. Würde man diesen Supermarkt danach meiden, hätte der Angreifer ja sein Ziel erreicht, nämlich Angst und Schrecken zu verbreiten. Ich selber kaufe weiterhin dort ein, denn die Preise sind gut. Auch legt der Eigentümer dieser Supermarktkette Wert auf ein gutes Verhältnis zu seinen arabischen Angestellten und das wirkt sich positiv auf die Atmosphäre dort aus. Ich honoriere das gern durch mein Kommen.
Dieser Versuch war nicht der einzige in einer Siedlung. Immer wieder versuchen Palästinenser dort einzudringen. Über welche Konsequenzen denkt man nach? Haben Arbeitsplätze für Palästinenser in den Siedlungen noch eine Chance?
Dazu wieder die Stellungnahme der Stadtverwaltung:
"Für die Stadtverwaltung steht die Sicherheit der Bewohner und der Besucher der Stadt an oberster Stelle. Daher führen solche Vorfälle jeweils zu erhöhter Alarmbereitschaft der Sicherheitskräfte und mehr Aktivität. Das Industriegebiet wächst ständig und damit auch die Zahl der dort Beschäftigten."
Aus der Antwort kann man ableiten, dass an eine Verringerung der palästinensischen Arbeitskräfte überhaupt nicht gedacht wird. Dies ist auch nicht nötig, da die Sicherheitskräfte ständig im Einsatz sind und bei Bedarf die Alarmbereitschaft erhöht wird. Außerdem wirkt sich das Arbeitsangebot auf die Palästinenser stabilisierend aus, was im Interesse beider Seiten ist.
Danke, Herr Schönmann, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, dass Sie die teils doch auch recht provokanten Fragen ertragen, ausgehalten haben. Sie spiegeln nicht die Meinung des Interviewers und des aki wider, aber gehören in Deutschland auch zum Meinungsbild dazu und dies wollten wir mit weitergeben.
Einiges, das hier nur angerissen wurde, haben Sie auf einem Blog recherchiert und eingestellt. Wer nun neugierig wurde, für den finden sich hier auch noch weiterführende Informationen.
Vielen Dank für das Interview
Für den Arbeitskreis Israel / RK August 2015
